Antwort des ungarischen Botschafters in Österreich – und die schreckliche Realität – Polizei lässt Flüchtlinge um Essen kämpfen

Ungarn9Der ungarische Botschafter in Österreich, Janos Perenyi, verteidigt den Bau eines 175 Kilometer langen Stacheldrahtzauns an der Grenze seines Landes zu Serbien. In der ZIB2 sagte Perenyi am 02. Septemer 2015, Ungarn müsse den Ansturm von Flüchtlingen „in eine geordnete Form“ bringen. „Es gibt geschichtliche Situationen, die außer Kontrolle geraten.“

Aufgrund seiner Äußerungen haben wir eine Mail an den Botschafter geschrieben, die wie folgt lautet:

Sehr geehrter Herr Janos Perenyi,

Sie waren am 2. 9. 2015 als Gast bei Armin Wolf in der ZiB2 und haben Stellung bezogen zu den tausenden Flüchtlingen um den gesperrten Keleti Bahnhof in Ungarn.

Ungarn hat seit seinem Beitritt in die Union vielfach die EU-Regeln missachtet. Nun, wo es um tausende menschliche Tragödien geht, will sich Ungarn plötzlich als Musterschüler zeigen?

Ungarn will doch diese Menschen gar nicht. Ungarn hat auch nicht die Ressourcen, die vorschriftsmäßige Registrierung und nachfolgenden Asylverfahren abzuwickeln.

Die Unterbringung und die der Menschenrechtskonvention entsprechende Versorgung tausender Flüchtlinge übersteigt doch alles, was das Land zu geben in der Lage bzw. willens zu tun ist bei weitem.

Lassen Sie diese Menschen ausreisen, ehe es zu Ereignissen kommen kann, die den Ruf des Landes noch weiter beschädigen.

Auch wenn Sie die Aufnahme Ihrer Landsleute in Österreich im Jahr 1956 als unhistorisch bezeichneten, fand diese statt – ich habe sie miterlebt.

In der Hoffnung, Sie leiten dieses Schreiben an die Verantwortlichen weiter,

Netzfrau Lisa Natterer

ORF, ZIB 2, 02.09.2015
János Perényi, Botschafter von Ungarn in Wien, kommentiert die Situation der Flüchtlinge, die in Budapest am Bahnhof festsitzen.

Antwort von Janos Perenyi

Datum: 10. September 2015 um 14:22
Betreff: RE: Keleti Bahnhof

Sehr geehrte Frau Natterer,

vielen Dank für die Zusendung Ihrer Meinung über die aktuelle Migrationslage.

Erlauben Sie uns bitte, im Anhang den ungarischen Standpunkt bekanntzugeben.

Flüchtlingslage – ungarischer Standpunkt und Anmerkungen

  • Nach Ungarn kamen heuer bis Ende August 154 000 Asylwerber, etwa 140 000 haben Asylantrag gestellt. Der Zuwachs war sprunghaft – 2012: 2000, 2013: 19 000, 2014: 30 000. Damit gilt Land – gemessen an Bevölkerungszahl – als meist belasteter Mitgliedstaat der EU.
  • Monatelang versuchte die ungarische Regierung vergebens, die europäischen Partner auf die Flüchtlingswelle durch die Balkanroute aufmerksam zu machen. Deswegen war sie gezwungen, selbst zu agieren und eine provisorische Sperre zu errichten. Diese – wie auch die Kommission oder z.B. Bundeskanzler Faymann festgestellt hat – steht im Einklang mit dem EU-Recht.
  • Mit der Sperre erzielt man nicht, die Flüchtlinge von einem Asylantrag abzuhalten, sondern diesen unter geordneten Umständen abzuwickeln. Neben der Sperre funktionieren nämlich nach wie vor die Grenzübergänge – diese werden sogar erweitert -, die auch die Asylwerber in Anspruch nehmen können (sollen).
  • Die ungarischen Behörden halten die Schengen-Regelungen ein. Sie registrieren die Migranten, wobei die große Mehrheit schon früher in anderen Mitgliedstaaten das Gebiet der EU betreten hat – dort aber ohne Registrierung.
  • Die Behörden gehen auch im weiteren Verlauf im Einklang mit den europäischen Vorschriften vor. Sie sichern für die Asylwerber während des Verfahrens Unterkunft, Essen, Sanitäreinrichtungen, medizinische Versorgung in den für sie bestimmten Asylzentren. Minderjährige werden eingeschult. Wegen des plötzlichen Zuwachses der Anzahl der Asylwerber kann es bei der Versorgung zu Engpässen kommen. Tausende Mitarbeiter der Asylbehörden leisten jedoch enorme Arbeit um geeignete Konditionen zu sichern.  
  • Das reibungslose Asylverfahren benötigt jedoch auch die Kooperation der Asylwerber. Sie sollen bei der Registrierung mitwirken und die bestimmten Asylzentren aufsuchen, um eine entsprechende Versorgung zu erhalten. Meistens war es auch der Fall bis zu den letzten Wochen. Seitdem aber die Migranten gewisse Äußerungen der Berliner Regierung falsch interpretiert haben und zugleich von Schleppern dazu ermuntert sind, weigern immer mehr diese Zusammenarbeit.
  • Das führte auch beim Ostbahnhof zu einer kaum behandelbaren Situation und beim Marsch der Migranten auf der M1-Autobahn zu einer Notlage, wo die Sicherheit der betroffenen Personen und des Verkehrs eine einmalige Maßnahme – Beförderung zur Grenze mit Bussen – benötigte. Nach der Wiederherstellung des Normalzustands gelten gleichwohl die Dublin-Regelungen nach wie vor.
  • Die ungarische Polizei tut alles, diese äußerst gespannten Situationen fachgerecht und nüchtern zu behandeln. Falls des Widerstands der Asylwerber – denn sie z.B. ausschließlich nur Deutschland als Zielland sich vorstellen können – ist es jedoch äußerst schwierig. Dass diese Einstellung per absurdum sogar in Deutschland zu einer Pattsituation führen kann, zeigt der folgende Artikel:

http://www.shz.de/schleswig-holstein/panorama/nach-protesten-fluechtlinge-duerfen-von-luebeck-nach-daenemark-weiterreisen-id10658176.html

  • Die Anstrengungen der Polizei hat selbst Vincent Cochetel, Europa-Direktor des UNHCR anerkannt. In Ungarn sei die Situation bei der Aufnahme von Flüchtlingen zurzeit zwar problematisch, die ungarische Polizei leiste aber insgesamt gute Arbeit – sagte er, wobei auch  auf die Notwendigkeit der Verbesserung der Bedingungen der ankommenden Menschen hingewiesen hat.
  • Unseres Erachtens trägt in dieser Situation die Presse selbst eine besondere Verantwortung, was die korrekte Berichterstattung betrifft. Eine verzerrte Darstellung kommt nämlich auch den Schleppern zugute, die solche leicht ausnutzen können. Dazu eine Aufzeichnung über den Fall, der durch ausgeschnittene Fotos vielerorts falsch als polizeilicher Gewaltakt eingestellt wurde:

  • Wir legen einen besonderen Wert auf die Bekämpfung der Schlepperei. Heuer wurden bisher mehr als 800 Schlepper in Ungarn verhaftet. In diesem Sinne hat man jüngst die einschlägige Regelung verschärft, die Sanktionen erhöht. Auch in diesem Bereich arbeiten wir mit den österreichischen Behörden besonders eng zusammen.    
  • Ungarn ist für eine gemeinsame europäische Lösung, da diese Problematik allein kein Land bewältigen kann. In diesem Sinne bereiten wir in Budapest eine Konferenz im Oktober mit der Teilnahme von Außen- und Innenminister der EU- und Balkanstaaten vor.
  • Wir sind der Auffassung, dass erstens die EU-Außengrenzen effektiv kontrolliert werden sollen. Dazu trägt man auch mit der Sperre und zusätzlichen Maßnahmen bei, die dadurch nicht nur der Sicherheit der eigenen Bevölkerung (übrigens auch ein legitimes Ziel), sondern auch der Verteidigung Europas dienen. Der Schutz der Außengrenze ist auch im Schengen-Abkommen explizit vorgeschrieben.
  • Man soll zwischen Kriegsflüchtlingen und Wirtschaftsmigranten unterscheiden. Erstere sollen wir empfangen und beschützen, Letztere können wir jedoch nicht aufnehmen. Gerade deswegen sind verstärkte Kontrollen und geordnete Verfahren unabdingbar, damit man die betroffenen Personen einzeln identifizieren und beurteilen kann.
  • Die ungarische Regierung ist überzeugt, dass die derzeitige Krise in erster Linie durch die Unterstützung der Herkunftsländer zu bewältigen ist. Das setzt vonseiten der EU eine verstärkte Entwicklungspolitik, bzw. enge Kooperation mit diesen Staaten voraus.
  • Rasch sind Anlaufstellen in Griechenland und Italien zu errichten, um die aktuellen Strömungen kontrolliert zu behandeln. Ähnliche Hotspots sind unseres Erachtens in Ungarn nicht begründet, da diese „am Eintrittspunkt“ der EU nötig sind.
  • In all diesen Punkten ist auch die Bundesregierung der gleichen Auffassung. Wir lehnen jedoch eine verpflichtende Quote auf europäischer Ebene ab, da es momentan eine zusätzliche Sogwirkung für die Migranten ausübt. Zugleich kann niemand garantieren, dass Asylwerber – innerhalb der Schengen-Zone – in den für Sie bestimmten Ländern bleiben. Wenn es gelingt, die aktuelle Strömung aufzuhalten, können Lösungsansätze über eine faire Verteilung diskutiert werden.  

Mit freundlichen Grüßen

Dr. János Perényi

Botschafter

Diese Antwort haben wir gestern erhalten – so sieht es zur Zeit in Ungarn aus:

Wie das EU-Land Ungarn im Aufnahmelager Roeszke Flüchtlinge versorgt – sie lassen Flüchtlinge um das Essen kämpfen

Die Bilder lösen Stress und Beklemmung aus: Ein Video aus Röszke in Ungarn zeigt Polizisten, die ein paar Wasserflaschen und Brötchen in eine Gruppe von Menschen werfen. Die Menschen sind Flüchtlinge in einem Lager. Die Menschen drängen sich zusammen, nach vorne, wo die Polizisten stehen. Sie strecken die Hände in die Luft, um mit etwas Glück eines der Brötchen aufzufangen.

Aufruf der freiwilligen Helfer vor Ort:

Den freiwilligen Helfern in Rözke geht nicht nur bald die Kraft, sondern auch die Kohle aus! Der großartige Caner Akkaya versorgt die Menschen mit Lebensmitteln. Befreundete Ärzte kümmern sich um die vielen Kranken. Planen und Holzbalken werden gekauft, um vor Ort improvisierte Unterkünfte als Schutz vor dem Dauerregen zu bauen. Bitte meldet euch als Volunteers oder helft mit eurer Spende (IBAN: AT02 1400003910798404 lautend auf Martina Akkay)!

Lesen Sie dazu auch:

Der Marsch der Flüchtlinge nach Österreich – Ungarn ruft Notstand aus -Armee wird gegen Flüchtlinge eingesetzt

March of Hope – Flüchtlinge erreichen Österreich – Thank you Austria

Netzfrauen Lisa Natterer und Doro Scheier

3 Kommentare » Schreibe einen Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.