Um Mitternacht trat in Ungarn ein verschärftes Gesetz für Flüchtlinge in Kraft. Bei illegalem Grenzübertritt drohen jetzt Haft oder die Abschiebung. Auch andere europäische Länder wollen Grenzkontrollen einführen. Bei der Überfahrt von der Türkei nach Griechenland sank ein Holzschiff. Unter den Toten sind viele Frauen und Kinder.
Die Autobahn zwischen Serbien und Ungarn ist blockiert. der Verkehr steht still. Die Grenze ist zu.
Wir haben für Sie wieder eine Zusammenfassung verschiedener Nachrichten erstellt.
Ungarn ruft den Notstand aus
Ungarn hat für seine Bezirke, die an Serbien grenzen, den Krisenfall ausgerufen. Die Masseneinwanderung mache das notwendig, heißt es. Damit können Asylverfahren nun wesentlich beschleunigt werden.
Ungarn errichtete zur Abwehr der Flüchtlinge einen Zaun an der 175 Kilometer langen serbischen Grenze. Die für die Flüchtlinge wichtigste Lücke war bis Montag bei Röszke, weil dort ein Bahngleis aus Serbien nach Ungarn führt.
Diesen 40 Meter breiten Durchgang hatten in den vergangenen Wochen Zehntausende Flüchtlinge genutzt. Nun wurde diese Lücke undurchlässig gemacht. Damit ist diese bisherige so-genannte Balkan-Route der Flüchtlinge geschlossen.
Drei bis fünf Jahre Haft
Illegaler Grenzübertritt gilt nun in Ungarn als Straftat, die mit bis zu drei Jahren Haft geahndet werden kann.
Bisher war es nur eine Ordnungswidrigkeit. Kommt Sachbeschädigung hinzu – etwa wenn ein Flüchtling den Grenzzaun durchschneidet – erhöht sich das maximale Strafmaß auf fünf Jahre. Anstelle der Haftstrafe ist auch eine sofortige Abschiebung möglich.
Keine Kriegsflüchtlinge
„Wir wollen kein Chaos“, hatte der rechtsnationale Ministerpräsident Viktor Orban am Montag bei der feierlichen Vereidigung von 868 neuen Grenzpolizisten am Budapester Heldenplatz gesagt. „Wir wollen nicht, dass eine Völkerbewegung von weltweitem Ausmaß Ungarn verändert.“
Später sagte er in einem Fernsehinterview, die meisten Flüchtlinge, „die hier durchstürmen“, würden nicht vor Kriegen fliehen, sondern strebten ein Leben im Wohlstand in Deutschland an: „Sie rennen nicht um ihr Leben“.
20-jähriges grenzfreies Reisen in der Europäischen Zone ab sofort vorbei
Nachdem Deutschland die Passkontrollen an der Österreichischen Grenze eingeführt hat, ziehen andere Länder nach. Wie Daily Mail berichtet, werden nun auch die Niederlande und Österreich die Passkontrollen wieder einführen. Der Grund – die Massen von Flüchtlingen und Migranten seien so nicht mehr zu bewältigen.
Austria, Holland and Hungary shut borders as Germany imposes controls saying it can’t cope http://t.co/bCxkEN0yqK pic.twitter.com/eNGrXYdFzT
— Daily Mail Online (@MailOnline) 15. September 2015
Wir haben Ihnen die aktuellsten Nachrichten aus dem Twitter zusammengestellt:
#Drone view of the rail carriage used by Hungarian government to block gap in fence at #Roszke border crossing pic.twitter.com/Fjt19aU2FZ — Oliver Varney (@OliverVarney) 15. September 2015
#Roszke border w Serbia closed. #Refugee say „please we just want safety“. 3 units of riot police arrive in reponse. pic.twitter.com/wT2Mbn9LbS
— Tirana Hassan (@TiranaHassan) 15. September 2015
#refugees protesting silently at #hungarian border. (Valter Berecz/24.hu) #refugeecrisis #roszke pic.twitter.com/CyfzmQjgng — Zsolt Kerner (@kernerzsolt) 15. September 2015
#Refugees on hunger strike RIGHT NOW@#Roszke border point,throwing food on the ground&asking #Hungary to let them in pic.twitter.com/oFIMVh1uhG
— Szabolcs Panyi (@panyiszabolcs) 15. September 2015
Hungary closes the gates to Europe http://t.co/8dexnY0rqD pic.twitter.com/oJ90POhtvc — TIME.com (@TIME) 15. September 2015
#RefugeeCrisis: Syrian refugee swims with only his legs as he desperately tries to keep his baby above the water.. pic.twitter.com/7V1izqujA3
— Abbas Sarsour (@iFalasteen) 15. September 2015
A young girl naps on her grandfather’s shoulder in FYR Macedonia, on the border with Greece. #refugeecrisis pic.twitter.com/Z6PeEWtcQQ — UNICEF (@UNICEF) 14. September 2015
Last light, last group before sunset #Greece #Macedonia border #refugeecrisis pic.twitter.com/24acfmK0O6
— lyse doucet (@bbclysedoucet) 14. September 2015
Roszke Horgos border closed down. Refugees somewhere other side the wall of police. #refugeecrisis #hungary pic.twitter.com/U65wqsSrnc — Jason N. Parkinson (@JasonNParkinson) 15. September 2015
#Hungary: The wagon w/barbed wire that will close HU #refugee fence filmed by @Thomaspraekelt at #Roszke station. pic.twitter.com/30Z0e738L4
— José Miguel Sardo (@jmsardo) 14. September 2015
Anna berichtet aus Ungarn: Wir haben am Wochenende eine Nacht im Lager an der ungarisch-serbischen Grenze in Röszke verbracht und dort mit angepackt, wo es nur ging. Die Situation dort ist katastrophal, sehr sehr traurig und absolut menschenunwürdig. Es gibt weder genügend Toiletten noch Schlafplätze, ganz zu schweigen von fließendem Wasser. Viele sind krank, vor allem bei den Kindern ein Anblick, den wir so schnell nicht vergessen werden. Sie schlafen zwischen Müll oft am Boden. Machen aus dem herumliegenden Plastik Lagerfeuer, an dem sie sich wärmen, ein Geruch, der einem einen Stich in die Lunge gibt. Und trotzdem wird man mit einem breiten Lächeln und ganz vielen „thank you so much“ bestärkt, dass man hier am absolut richtigen Platz ist, um zu helfen. Jede Begrüßung und jeder Versuch zu helfen wird sofort mit sehr dankbaren Gesten wertgeschätzt. Stundenlang sind wir auf den Gleisen beim Grenzzaun gewesen, um die Leute über die Situation in Röszke und Ungarn generell (Fingerprint, Gesetzesänderung usw.) aufzuklären. Dank der Mithilfe von Flüchtlingen, die uns die gesamte Zeit als Dolmetscher zur Verfügung standen, konnten wir vielen neu Angekommenen wichtige Tipps und Infos weitergeben. Sie hatten richtig Spaß daran, uns zu helfen und wichen uns nicht von der Seite. Wir wünschen ihnen das Allerbeste für ihre Weiterreise, und dass sie ihr Ziel bald erreichen. DANKE DANKE DANKE!!! Die Menschen sind total verängstigt, fix und fertig von ihren langen Reisen, das Militär steht direkt am Stacheldrahtzaun, schwer bewaffnet. Frauen mit Babys im Arm brachen vor uns zusammen, aus Müdigkeit, unterzuckert, und weil sie einfach völlig erschöpft sind von dem langen Weg, den sie zu Fuß zurück gelegt haben die letzten Wochen. Deshalb wäre es so unglaublich wichtig, sich ein bisschen seiner Lebenszeit zu nehmen, um dort mitzuhelfen und Aufklärungsarbeit zu leisten. Ein Syrer erzählte uns, er sei durch 7 Länder gereist und ist froh, so von uns empfangen zu werden und schenkte uns ein riesiges Lächeln. Für alle, die nach Ungarn fahren: Das WICHTIGSTE sind Dolmetscher und Ärzte, klärt die Menschen über die Lage auf. Wenn ihr was mitnehmt: Antibiotikum wird dringend gebraucht und Verbandszeug. Außerdem: Lebensmittel, stilles Wasser, WARME Kleidung, Zelte, Isomatten, Schlafsäcke, vor allem für die Kinder, es ist wirklich kalt dort in der Nacht!! Nach all den Eindrücken, einer anstrengenden, traurigen, sehr kurzweiligen Nacht sind wir erschöpft wieder zurück, zutiefst berührt und entsetzt.
Grenze Türkei – Griechenland – Mindestens 22 Flüchtlinge, die versuchten, Griechenland mit dem Boot zu erreichen, darunter 11 Frauen und vier Kinder, ertranken, als ihr Schiff heute vor der Südwestküste der Türkei sank – dieses berichteten lokale Medien. Die genaue Zahl lässt sich zur Zeit nicht ermitteln. 211 Flüchtlinge wurden aus dem Holzboot, in der Nähe der griechischen Insel Kos gerettet, berichtete die Nachrichtenagentur Dogan.
’22 dead‘ after Greece-bound migrant boat sinks off Turkey http://t.co/uR8zVp4hwx — Breaking News (@breaking_news_4) 15. September 2015
Bereits gestern und vorgestern sollen Schiffe es nicht bis nach Griechenland geschafft haben:
34 refugees – including 15 young children – drown just off the coast of Greece http://t.co/rlwdAiDPhE pic.twitter.com/KM3prqOd8N
— Daily Mail Online (@MailOnline) 14. September 2015
Migrant crisis: 28 drown off Greece as Hungary absorbs record flow http://t.co/XCgRiiOIx0 pic.twitter.com/pAnSHOSIDK — Hindustan Times (@htTweets) 13. September 2015
So viele Menschen wollen über das Meer nach Griechenland wie noch nie. Denn es gibt nicht nur Chios. Die Vorposten Europas heißen auch Lesbos, Samos oder Farmakonisi. Es sind ein halbes Dutzend Inseln, die nur wenige Meilen vor der Türkei liegen. Mehr als 26 000 Menschen erreichen im Jahr 2014 allein die Inseln Lesbos, Samos und Chios. Allein 2015 ist der Ansturm so hoch wie nie. Doch erreichen die Flüchtlinge Griechenland, erwartet sie Hunger und Durst. Viele Flüchtlinge sind mit ihren Nerven am Ende – Anspannung liegt in der Luft. Es kommt immer wieder zu Zusammenstößen von Flüchtlingen mit der Polizei.
Viele Flüchtlinge versuchen erst gar nicht, einen der wenigen zur Verfügung stehenden Plätze in den Lagern zu ergattern und leben unter freiem Himmel irgendwo am Strand.
Tausende Flüchtlinge versuchen täglich, von der türkischen Ägäisküste auf eine der griechischen Inseln zu gelangen. Fast alle wollen weiter nach Westeuropa.
Am Samstag brachten zwei Fähren mehr als 4000 Migranten von den Inseln nach Piräus, berichtete das Staatsradio. Am frühen Sonntagmorgen kamen weitere 1700 Migranten in Piräus an. Insgesamt pendeln drei Fähren zwischen den Inseln Lesbos, Kos, Kalymnos und Leros und bringen täglich Tausende Menschen zum Festland. Doch in die erhofften Länder zu gelangen, wird für die vielen Flüchtlinge, darunter viele Frauen und Kinder, zu einer weiteren Herausforderung.
Nicht nur Ungarn und Serbien schließen die Grenzen, auch Deutschland führte angesichts des Flüchtlingszustroms vorübergehend Grenzkontrollen ein. Dies stehe im Einklang mit dem Schengen-Abkommen, sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière in Berlin – weitere EU-Länder folgen.
Tausende Flüchtlinge aus Syrien, Pakistan und Afghanistan stranden täglich in kleinen Bauerndörfern namens Horgoš, Palić, Kanjiža oder Kelebija am nördlichsten Zipfel Serbiens. Sie wissen, dass sie fast am Ziel sind und nehmen deswegen alle Strapazen auf sich: Bei Wind und Wetter entlang der Autobahnen nach Budapest gehen, vor überfüllten Auffanglagern schlafen, in der Dunkelheit über Bahngleise stolpern und von korrupten Grenzpolizisten und skrupellosen Schlepperbanden bedroht und bestohlen werden.
Es ist ein Desaster und eine Einigung in der EU ist nicht möglich.
Wie von uns bereits berichtet – erwägte die EU eine Patrouille im Mittelmeer, um die Länder wie Ägypten und Tunesien auszugrenzen, von wo aus eine hohe Zahl der verzweifelten illegalen Einwanderer ihr Leben riskieren, um die europäischen Küsten zu erreichen. Sie wollen so die Flüchtlingsströme reduzieren. Die EU wird die nordafrikanischen Länder finanzieren und ihre Flotten in Such- und Rettungsaktionen für die Zehntausende von Menschen trainieren, die von Libyen nach Italien flüchten.
Sind diese erst mal gerettet, werden sie zu den Herkunftsländern zurückgebracht. „Damit würde man eine wirklich abschreckende Wirkung erzeugen, sodass immer weniger Migranten bereit wären, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um die europäischen Küsten zu erreichen. Man sagte seitens der EU, dass ein solcher radikaler Wandel notwendig würde, um der Massenmigration über das Mittelmeer Herr zu werden.
Die Innenministerien werden ebenfalls über die Pläne zur Schaffung und Finanzierungen von Flüchtlingslager oder „Aufnahmezentren“ für Migranten in Nordafrika und dem Nahen Osten diskutieren, so in dem Beitrag. Der EU-Grenzschutz wird also die Flüchtlingsströme nach Tunesien, Ägypten, Sudan und Mali ausgrenzen, um zu verhindern, dass die Flüchtlingsströme aus Niger die europäische Küste erreichen werden.
Für die, die nicht über Libyen kommen, beginnt ihre nautische Odyssee in Ägypten oder Tunesien. Dort wird die EU ein Lager errichten. Mit Italien teilt auch Spanien den europäischen Rekord für die wachsende Zahl der Neuankömmlinge und dies seit 2000. Für Italien eskalierte die Krise im Oktober 2011 mit dem Sturz von Libyens Staatschef Muammar Gaddafi. Vorher, im Jahr 2008, hatte Ministerpräsident Silvio Berlusconi einen Deal mit Gaddafi vereinbart: Italien würde unter anderem 5 Milliarden Dollar an Libyen zahlen und zwar für die Schäden, die Italien während der Kolonialzeit Libyen zugefügt hatte. Im Gegenzug wurden seitens Libyens die Migranten am Verlassen seiner Küsten gehindert. Italien suspendierte diese Vereinbarung Anfang 2011, aber die Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern existierte weiter.
Nun wird die EU, so haben wir es verstanden, wieder dafür sorgen, dass keine Flüchtlinge mehr in die EU fliehen können. Mehr dazu auch in unserem Beitrag: Boko Haram in Nigeria Hundertausende auf der Flucht – EU und Deutschland bauen Grenzzäune
Für die Evakuierung von Schiffen gibt es viele Regeln. Ein Grundsatz lautet: «Frauen und Kinder zuerst»
Wir fordern die EU-Kommission auf, diesen Grundsatz auch in der Flüchtlingskrise zu beherzigen.
Nicht Erklärungen helfen uns weiter, sondern der Wille voranzuschreiten und zu handeln. Dafür müssen wir alle gemeinsam Opfer bringen.
Dazu auch unser Aufruf an die EU und die Vereinten Nationen: Verzweiflung auf der Flucht – „Wir wollen einfach nur die Freiheit, wir wollen nur Frieden“
Netzfrauen Lisa Natterer und Doro Schreier
Festung Europa – Frontex: Einsatz gegen Flüchtlinge
VIDEO- Flüchtlinge – „Der Marsch“ beschrieb 1990 ein Szenario, wie wir es 2015 erleben.
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