In Hamburg sagt man Tschüss

schmidtLieber Helmut,

nun sitze ich hier, blicke zurück und denke an die Zeit, in der ich als junges Mädchen in die Jusos eintrat. 14 Jahre war ich gerade mal. Schon bis dahin hatte mich die Politik durch Willy Brandt und dann auch durch deine Person geprägt.

Wir befanden uns in einer Wirtschaftskrise. Viele Väter waren entweder arbeitslos oder auf Kurzarbeit.

Wer noch auf das Gymnasium gehen konnte, durfte sich glücklich schätzen. Vorbei mit dem Wirtschaftswunder.

Kam ich aus der Schule heim, lief bereits der Fernseher und ich schaute mir die Debatten im Bundestag an.

Unvergessen der Herbert Wehner, wie ich diese Debatten heute vermisse.

Ja, ich war stolz, ein Sozialdemokrat zu sein. Politik war für mich prägend und wichtig, denn Entscheidungen durch die Bundesregierung kann man nur durch eigene Aktivität beeinflussen.

Wir „Jungen“ schrieben damals noch Briefe, denn E-Mails gab es ja nicht. Wir malten Plakate und druckten sie mit so einem uralten Vervielfältiger, bei dem man noch richtig kurbeln musste.

Wir sangen unsere Lieder und wir standen auf und taten unserem Unmut kund.

Unvergessen unser Demonstrationszug gegen Franz-Josef Strauß.

Was haben wir nicht alles erlebt, da waren die RAF mit ihrem Terror, die Ölkrise und der „Kalte Krieg“.

Und mittendrin warst du, lieber Helmut. Machtest uns Hoffnung mit deiner hanseatischen Art.

Vielleicht war es das, was dich so ausmachte, dass man dir Glauben schenkte.

Und dann kam der Tag, an dem wir alle weinten.

Das Misstrauensvotum nach Artikel 67 des Grundgesetzes fand statt. Der „Dicke“ nutzte es, obwohl noch 2 Jahre vorher alle dich wollten. Du kämpftest und hieltest eine Rede, während der wir dachten, das kann doch alles nicht sein. Du warst doch unser Kanzler.

Aber dieser Genscher machte alles zunichte, er schloss sich Kohl an.

Von dem Tag an stand fest, die Politik ist nicht mehr meins. Zu groß war die Enttäuschung über die FDP, die bis heute anhält.

Ich sah dich gehen und mit dir meine Hoffnung auf eine Regierung, die weiß, was sie tut.

Mein Parteibuch gab ich ab, in einer solchen politischen Welt wollte ich nicht mitspielen.

Am 10.September 1986 war deine letzte Rede im Bundestag, deine Abschiedsrede, und auch da musste ich weinen. Ein ganz Großer trat von der politischen Bühne ab.

Wenn ich heute zurückblicke, denke ich auch an die Angebote, die aus der Jungen Union kamen. Nein, ich wollte nicht. Sie dachten, dass mein Vater mich beeinflussen würde, der schaute ganz verdutzt und sagte, es wäre doch wohl umgekehrt. „Meine Tochter entscheidet selber und Politik haben wir ihr nie beigebracht.“

Auch später im Job als Bankerin hat man mir oft zu verstehen gegeben, dass ich der falschen Partei folge, welches Auswirkungen auf die Karriere haben könnte.

Auch hier habe ich zu verstehen gegeben, dass ich nicht die FDP sei, die als Wendehals in die Geschichte eingegangen ist.

Ich bilde mir selber meine Meinung und lasse sie mir nicht diktieren. Das habe ich mir von dir abgeschaut, Helmut, Du hast das getan, was getan werden musste. Nicht immer war ich einer Meinung mit dir, aber du hast es ruhig und sachlich erklärt, bis ich dann deinen Schritt akzeptierte.

Von dir habe ich den Satz „Schaue erst in die Vergangenheit, bevor du für die Zukunft entscheidest.“

Ja, die Geschichte muss man kennen. um die Zukunft zu verstehen.

Auch fand ich diesen Satz sehr prägend: „Sogar Alexander der Große ritt nur mit seinen Mannen durch Afghanistan, weil er wusste, dass man dort nur verliert.“

Heute ist die SPD schon lange nicht mehr das, was sie war. Die Welt ist korrupt geworden. Der „Kalte Krieg“ ist wärmer als je zu vor.

Wir haben mehr Überwachungen als je zuvor und doch ist es möglich, dass Terrorgruppen machen können, was sie wollen.

Wir verkaufen unsere letzten Lebensgrundlagen und spielen den Konzernen das Letzte, was wir noch haben, in die Hände.

Die Rüstungsgeschäfte boomen, auch in Krisenländern, die nun als „Geister, die ich rief“ zurückkommen.

In was für einer Welt leben wir eigentlich?

Du kannst uns keine Antworten mehr geben, denn du bist da, wo deine Loki bereits auf dich wartet.

Ich bedanke mich bei dir, Helmut, für deinen Einsatz. Deine Aussage: „Ihre Handlungsweise ist zwar legal, aber sie hat keine innere moralische Rechtfertigung“ wird mich ein Leben lang begleiten. Danke, Helmut.

In Hamburg sagt man Tschüss.

Netzfrau Doro Schreier  

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