Roger Willemsen ist tot. Er war Meister des gewandten Wortes, schrieb nicht nur unentwegt Bücher, die es sich auf Bestsellerlisten gemütlich machen, er ist vor allem auch ein großer Liebhaber der Musik. Unvergessen die Talkshow „Willemsens Woche“. Sie lief 1994-1998 im ZDF. Etwa zeitgleich entstanden filmische Porträts u. a. über König Hussein von Jordanien, Dame Edna Everage, Carlos Menem und Lech Walesa.
Wie will man Roger Willemsen beschreiben, einen Mann, der so vielseitig sein Können unter Beweis stellte?
Als einen Mann, der alles wusste?
Als einen Mann, der sich nicht vor Fragen scheute, die andere nie gewagt hätten zu stellen, und dabei doch so höflich blieb?
Ich beschreibe Roger Williemsen als einen Menschen, der wissbegierig war und das Intellektuelle salonfähig machte. Roger Willemsen war einer der vielseitigsten und bekanntesten Intellektuellen unserer Zeit.
Als ich Roger Willemsen das erste Mal im Fernsehen sah, dachte ich, es gibt es noch – gutes Fernsehen. Viele fühlten sich sicher durch seine Art überfordert, doch Roger Willemsen blieb sich treu, er redete und redete.
Er ließ uns nicht nur an seinen Reisen teilhaben, sondern auch an seiner Lieblingsmusik. So legte er Werke auf, die beim veranstaltenden Radiosender „NDR Kultur“ selten zu hören waren, und riss die überflüssigen Genregrenzen nieder. Klug, gewitzt, sprachgewandt, vor allem aber mit einer unglaublichen Liebe zur Musik. Und so war sein Appell am Ende seiner Sendung „Bewahren Sie der Musik ein Herz!“
Musikkenner Roger Willemsen beweist, dass Stücke der ernsten und Unterhaltungsmusik sich in einem spezifischen Ausdrucksbedürfnis, einer Form, einer thematischen Durchführung ähneln. Ja, dass sie korrespondieren können. „Willemsen legt auf …“ können Sie immer am Mittwoch um 9.20 Uhr und als Wiederholung am Sonnabend um 14.20 Uhr auf NDR Kultur hören.
Auch 2016 sendet NDR Kultur die Höhepunkte der vergangenen Sendungen zur gewohnten Zeit, schrieb der NDR noch am 03. 11. 2015. Doch nun wird es keinen wortgewandten Roger Willemsen mehr geben, der uns mit seiner Musik erfreuen wird. Er wird nun zusammen mit David Bowie und vielen anderen sicherlich oben Platten auflegen.
Und er wird seinen alten Freund wiedertreffen: Dieter Hildebrandt. „Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort – Die Weltgeschichte der Lüge“. Mit der „Weltgeschichte der Lüge“ standen sie zum ersten Mal gemeinsam auf der Bühne. Der Tag, an dem Kabarettistenlegende Dieter Hildebrandt zusagte, bei der Aufführung von “Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort“ mitzumachen, war für Roger Willemsen nach eigner Aussage „ein glücklicher Tag“.Dieter Hildebrandt starb 20. November 2013.
Zum Tod von Dieter Hildebrandt: Aus der Laudatio von Roger Willemsen – Kritiker ohne Pardon
„Eine Liebeserklärung kann man nicht vom Blatt ablesen.“ Die SZ zitierte aus der Rede von Roger Willemsen
„Dieter Hildebrandt ist heute volkstümlich. Er ist in einem Maße vom Volk angenommen, das außerordentlichst ist bei einem Menschen, der sich ausschließlich durch den Begriff der Kritik definiert. Und der diese Kritik in der generösen Form der humorvollen Kritik so unter die Menschen bringt, dass sie sich in dem, was Dieter Hildebrandt ihnen sagt, erkennen mögen. Diese Hilfe zur Selbsterkenntnis, ohne Schroffheit, ohne Herablassung, ohne Starnimbus ist exemplarisch. Für so was muss man sich in einem Leben entscheiden. Das hat Dieter Hildebrandt getan.“
Heute sitze ich hier und schreibe nun einen Nachruf auf Roger Willemsen, einen Intellektuellen, der ebenfalls ein Kritiker ohne Pardon war. Dazu erinnerte ich mich an eine Veranstaltung:
Dieter Hildebrandt und Roger Willemsen über die Weltlüge im Rahmen von „Lesen ohne Atomstrom“ im Altonaer Theater am 10. 04. 2012
Roger Willemsen und Helmut Schmidt
Fünf Jahre lang schrieb Roger Willemsen seine Jahreszeitenkolumne für das ZEITmagazin. Roger Willemsen statt Helmut Schmidt – gab das „Zeit Magazin“ im März 2009 bekannt, nachdem nach ca. 90 Folgen die Kolumne „Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt“ beendet wurde. Ab dem 5. März 2009 fragte Roger Willemsen jede Woche außergewöhnliche Menschen „Warum machen Sie das?“.
„Weniges verrät mehr über einen Menschen als die Auskunft, warum er tut, was er tut“, so Willemsen. Wie war Roger Willemsen, er war irgendwie immer präsent und er konnte sehr schnell und viel reden. Warum machen Sie das?“ Er würde sicher sagen, weil er es konnte.
Wie sagte mal meine Schulfreundin, als ich von Roger Willemsen schwärmte: Ihr lasst euch sicher beide nicht zu Wort kommen, aber eines wusste sie, er kann besser Grammatik. Darauf antwortete ich, ja, er ist ja auch Germanist und ich Mathematist. Daraufhin mussten wir beide lachen.
Tja, Roger Willemsen, Sie sind nur 60 Jahre alt geworden und auf die letzte Reise können Sie uns nicht mehr mitnehmen. Zurzeit ist es, als würden die Intellektuellen, die uns Jahrzehnte begleitet haben, aussterben. Im Fernsehen ist man die meiste Zeit unterfordert und die Programme sind eh für die Masse gemacht. Aber dadrüber hatten Sie sich ja auch 2012 in einem Interview mit Deutschland Kultur beklagt:
„Gutes Fernsehen ist eines, das mich fordert. Das mich nicht unterfordert. Gutes Fernsehen setzt die Gesellschaft in den sehr disparaten Gruppen miteinander in Verbindung, und so erfahre ich über das Fernsehen, wie groß die Welt ist und wo sie von Minderheiten besetzt ist.“
Auf die Frage im Deutschlandradio Kultur 2012: „Ich kann mir vorstellen, dass der eine oder andere das jetzt gehört hat, Herr Willemsen, und sich sagt, na ja, das sagt nur einer, der seit den 90ern nicht mehr so richtig Fernsehen macht, der schreibt jetzt erfolgreiche Bücher, legt vor Publikum und im NDR-Radio Platten auf und schert sich nicht mehr ums Fernsehen. Hätten Sie denn Lust, wenn Sie eine Chance hätten, was Vernünftiges zu machen wieder, Mainstream-Fernsehen zu machen?“
Darauf antwortete Roger Willemsen :
„Ach, ich sage Ihnen die allerehrlichste Antwort, die ich geben kann. Ich habe im Moment ein Angebot von einem Sender, das steht schon seit zwei Jahren. Und die sagen: Carte blanche, du kannst machen, was du willst, nur komm, und denk dir was aus. Und mein größtes Hindernis dabei ist, dass ich erstens meinem Leben einen Schaden zufügen würde, indem ich jetzt wieder anfange zu überlegen, wie ich Massen hinter meine Minderheitsinteressen bringen kann, und dann ist der Kampf mit Fernsehredakteuren nichts, was mich freut. Denn meistens verstehen die doch mehr von Quote und weniger von irgend etwas anderem.
Und ich denke manchmal bei den Talkshow-Redakteuren sogar, sie verstehen nicht einmal etwas von Popularität, weil – ich weiß nicht, wer da draußen im Land sitzt und „was wird heute Dolly Buster sagen?“ formuliert. Sondern ich glaube, dass die Erwartung da auf ein Minimum gegangen ist, und ich weiß wirklich nicht, ob ich das noch mal machen möchte. Aber ich gehe zumindest mit Überlegungen schwanger.“
Roger Willemsen ist tot. Das bestätigten am Montag sein Büro in Hamburg und der Verlag S. Fischer in Frankfurt. Willemsen starb den Angaben zufolge am Sonntag im Alter von 60 Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung in seinem Haus in Wentorf bei Hamburg.
Die Krebserkrankung war bei Willemsen im vergangenen August – wenige Tage nach seinem 60. Geburtstag – festgestellt worden. Nachdem er seine Erkrankung öffentlich gemacht hatte, sagte er alle Veranstaltungen ab.
Als Schüler beschrieb sich Roger Willemsen so:
„Langhaariger Kiffer, der irgendwie zur Gang gehörte. Schwierige Texte las und schwierige Musik hörte – Jazz. Aber nicht Streber war. Also eher zur Bohème gehörte. Eher zu denen gehörte, die außerhalb der Schule wichtig waren, aber nicht innerhalb.“
Er war der Meister der Wortspiele und er blieb außerhalb der Schule wichtig .
Roger Willemsen, 1955 in Bonn geboren, war Autor, Universitätsdozent, Übersetzer, Herausgeber und Korrespondent, ehe er 1991 zum Fernsehen kam, wo er in den folgenden 15 Jahren gut zweitausend Interviews führte, Kultursendungen produzierte, Filme drehte. Er interviewte unter anderem Audrey Hepburn, Yassir Arafat, Michail Gorbatschow, Madonna, Yehudi Menuin, Pierre Boulez, Margaret Thatcher und den Dalai Lama. Willemsen wurde mehrfach ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Grimme-Preis in Gold.
Seine Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt. Zuletzt erschienen „Afghanische Reise“, „Hier spricht Guantánamo“, das mit dem Rinke-Preis ausgezeichnete Buch „Der Knacks“, sowie „Bangkok Noir“ und das in Jahr 2014 veröffentlichte Buch „Das Hohe Haus. Ein Jahr im Parlament“, das wochenlang die Bestsellerlisten anführte.
«Das Leben kann man nicht verlängern, nur verdichten.» Roger Williamsen
Wir wünschen Ihnen eine gute Reise.
Netzfrau Doro Schreier
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