Der Atomunfall im japanischen Fukushima zählt zu den schlimmsten Katastrophen der Menschheit. Bis heute ist kein Ende abzusehen. Am 11. März 2011 erschütterte ein Beben mit katastrophalen Folgen Japan. Damals war diese Katastrophe über Wochen das Thema in allen Nachrichten. Heute ist kaum noch etwas darüber zu lesen, zu hören oder zu sehen. So viel aber steht fest: Die Betreiberfirma Tepco hat die Katastrophe bis heute nicht im Griff.
Murata Mitsuhei, der ehemalige Botschafter (Japans in der Schweiz) sagte, der in Fukushima drohende gesamte radioaktive Fallout könnte „weltweit die Umwelt und unsere Zivilisation zerstören“. Es geht nicht mehr um Raketentechnik oder um hitzige Debatten über
Kernkraftwerke, sondern um das Überleben der Menschheit.
Die Atomreaktorkatastrophe von Tschernobyl jährt sich am 26. April zum 30. Mal. Über 600 Millionen Menschen in Europa sind gesundheitlich von der Katastrophe in Tschernobyl laut IPPNW und der Gesellschaft für Strahlenschutz (GfS) betroffen. Wie viele werden es durch Fukushima sein?
Bereits vor drei Jahren berichtete die Zeitung Asahi , dass Tepco jeden Tag 100 Tonnen Wasser abpumpen muss, damit das verstrahlte Grundwasser nicht in den Pazifik gelange. Bereits da reichten die Speicherkapazitäten für das kontaminierte Wasser nicht aus. Die Tanks mit einem Fassungsvermögen von 380.000 Tonnen Wasser waren bereits zu 85 Prozent gefüllt. 2016 wissen wir, dass jeden Tag 300 Tonnen radioaktiv verseuchtes Wasser in den Pazifischen Ozean strömen. Die Folgen sind bereits sichtbar: So viele kranke Tiere, so etwas haben die Tierärzte in den USA noch nicht gesehen. Erst kürzlich berichteten wir vom Massensterben von Seehunden und Seelöwen. und dass der Horror aus Fukushima die US-Küste längst erreicht hat.
Keine Transparenz erwünscht.
Berichten der japanischen Zeitung „TokyoShimbun“ zufolge hat die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) mit den Präfekturen Fukushima und Fukui sowie mit der Medizinischen Fakultät von Fukushima Verträge ausgehandelt, die eine gegenseitige Geheimhaltung zu bestimmten Informationen garantierten, wenn dies eine der Parteien wünscht.
Radioaktive Freisetzung wie 580 Atombomben
Die radioaktive Kontamination in der Umgebung und der ganzen Welt war durch die Atomkatastrophe erheblich. Nach Berechnungen von Christian Küppers, Leiter für Strahlenschutz am Öko-Institut, wurde bei dem Unfall in Fukushima etwa 580 Mal so viel radioaktives Cäsium-137 freigesetzt wie beim Abwurf der Atombombe über Hiroshima. Ein großer Teil des Spaltprodukts Cäsium-137 ging in die Atomsphäre, ein anderer Teil wurde direkt ins Meer gespült.
Ein sehr großes Problem sind vor allem auch die geschmolzenen Kernbrennstoffe und zerstörten Reaktordruckbehälter in den Kraftwerken eins bis drei. Denn eine Kontrolle vor Ort ist durch die extrem hohe Radioaktivität für Menschen nicht möglich und der Einsatz von Robotern hatte bisher keinen Erfolg. „Bis heute weiß man nicht, was dort genau passiert und wie eine Bergung möglich ist“, erklärt Smital. „Für die Bergung von geschmolzen Brennstoff in Reaktoren gibt es bisher keine Lösung. Es fehlt das weltweite Wissen, wie man mit so einer Katastrophe umgeht.“
Immerhin gibt auch Tepco zu, dass diese Arbeiten erst in dreißig bis vierzig Jahren abgeschlossen sein werden.
2014 war erstmals ein Deutsches Fernsehteam in Fukushima vor Ort. Sie konnten eine Strahlenbelastung von 87 Mikrosievert (µSv) pro Stunde messen. Zum Vergleich: Ein Bürger in Deutschland ist pro Jahr einer Strahlenmenge von vier Millisievert (mSv) ausgesetzt. Auch jetzt noch arbeiten immer noch 6000 bis 8000 Menschen im AKW, die mit Aufräumarbeiten und Dekontamenierung beschäftigt sind. Mehr Informationen: Die Story im Ersten: Fukushima – Unterwegs in der größten Nuklearbaustelle der Welt
Wie Fukushima Diary berichtet, gibt die NRA (Nuclear Regulation Authority = Atomprüfbehörde von Japan) am 20. Februar 2016 bekannt, dass mit April 2017 siebzig Prozent, also 2500 der 3600 Strahlenmesspunkte auf öffentlichen Plätzen (auch vor Schulen) in Fukushima entfernt würden, da die Budgetmittel für weitere Service-Arbeiten nicht ausreiche.
Auswirkungen auf den Pazifik und die Weltmeere
Die radioaktive Verseuchung des Pazifischen Ozeans vor der japanischen Ostküste stellt den wohl schwerwiegendsten ökologischen Schaden der Atomkatastrophe von Fukushima dar.
Neben dem direkten radioaktiven Niederschlag über dem Meer sind die anhaltenden Freisetzungen von kontaminiertem Wasser aus den havarierten Atomreaktoren ein weiterer wichtiger Faktor für die radioaktive Verseuchung des Pazifiks. Zur Kühlung der Reaktoren werden seit fast drei Jahren kontinuierlich enorme Wassermengen in die Reaktorgebäude gepumpt. Dadurch fallen täglich große Mengen von radioaktivem Abwasser an, die seit Beginn der Katastrophe ununterbrochen ins Meer abgelassen werden, in Grundwasserdepots versickern oder in der Atmosphäre verdunsten.
Von der Atomindustrie wird oft behauptet, der Verdünnungseffekt vermindere die Auswirkungen des ins Meer abgelassenen radioaktiven Abfalls auf die Umwelt und die marine Nahrungskette. Es muss jedoch bedacht werden, dass die radioaktiven Partikel durch Verdünnung nicht verschwinden, sondern sich lediglich über ein größeres Gebiet verteilen. Dies ist aus zwei Gründen gefährlich: Durch die Verbreitung radioaktiver Kontamination im Pazifischen Ozean sind mehr Menschen potentiell betroffen, da es keine sichere Untergrenze für Radioaktivität gibt.
Sogar die kleinste Strahlendosis kann, mit Wasser oder Nahrung aufgenommen, Krankheiten verursachen. Zweitens kommt es im Zuge von Seebeben oder Stürmen zum Aufwirbeln sedimentierter langlebiger Radioisotope wie Cäsium-137 und Strontium-90, die immer wieder erneut über die trophische Kaskade zu einer Ansammlung von Radioaktivität in Fischen führen. In zahlreichen Planktonproben vor der Küste von Fukushima wurden bereits 2012 deutlich erhöhte Konzentrationen von Cäsium-137 gemessen.
Vom Plankton gelangt das radioaktive Cäsium-137 in kleinere Fische, die von größeren Fischen gefressen werden, die wiederum auf den Fischmärkten rund um den Pazifik landen.
Insbesondere das knochenaffine Strontium mit seiner langen biologischen Halbwertszeit, aber auch die radioaktiven Isotope des Cäsiums stellen durch Bioakkumulation in der marinen Nahrungskette somit eine Gefährdung auch für die Bevölkerung der Anrainerstaaten sowie für alle potentiellen Konsumenten von Algen, Meeresfrüchten und Fisch aus den betroffenen Gebieten dar. Besonders in einem Land wie Japan, in dem diese Nahrungsmittel einen großen Teil der Ernährung ausmachen, ist die langfristige radioaktive Kontamination von Meerestieren und Algen ein relevanter Faktor.
Nach nur fünf Jahren eine abschließende Aussage über Langzeitfolgen einer Atomkatastrophe treffen zu wollen, bei der es vor allem um Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen geht, die erst nach Jahren und Jahrzehnten klinisch manifest werden, wäre unwissenschaftlich. Eben dies wird jedoch von den japanischen Behörden, der IAEO und UNSCEAR versucht, wenn diese behaupten, dass es zu keinen „relevanten“ oder „messbaren“ Strahlenfolgen in der betroffenen Bevölkerung kommen wird. Die Menschen in den betroffenen Gebieten brauchen glaubhafte Informationen, Aufklärung und Unterstützung, nicht Vertuschung, fingierte Studien und falsche Hoffnungen.
Tatsächlich geht es Organisationen wie der IAEO nicht in erster Linie um die Gesundheit der Bevölkerung, sondern um die Profite und politische Macht der Atomindustrie in Japan und weltweit. Während die japanische Atomindustrie jahrzehntelang mit ihren Reaktoren immense Gewinne erzielte, müssen die Kosten der umfangreichen Dekontaminations- und Aufräumarbeiten in Fukushima von Generationen japanischer Steuerzahler finanziert werden – die der Atomenergie mittlerweile mehrheitlich kritisch gegenüber stehen. Um die Atomindustrie zu schützen, wurde in Japan ein gewaltiger Vertuschungsapparat geschaffen, der nun sogar unliebsame journalistische Berichterstattung unter Strafe stellt und als „Geheimnisverrat“ definiert, wie der 5-Jahresreport der IPPN beschreibt.
100 000 Menschen konnten auch 5 Jahre nach der Katastrophe nicht wieder in ihre Häuser zurück
Im Pazifik befindet sich eine riesengroße Blase mit radioaktiv verseuchtem Wasser aus Fukushima, welche für erhebliche Schäden sorgt.
300 Tonnen hochradioaktives Wasser fließen täglich bis zur Stunde ins Meer. Das Wasser aus den leckenden Tanks auf dem Kraftwerksgelände hat nach Angaben des Kraftwerksbetreibers Tepco Strahlenbelastungen von 100 Millisievert pro Stunde. Das ist der Strahlungswert, den ein Mitarbeiter in einem japanischen Atomkraftwerk innerhalb von 5 Jahren abbekommen darf.
Das ausgetretene Wasser enthält neben vielem, vielem Anderem Strontium, welches Wissenschaftler gerne als „Knochenkiller“ bezeichnen. Strontium schädigt das Knochenmark und kann Leukämie auslösen. Hält sich ein Mensch nur eine Stunde direkt neben diesem Wasser auf, treten nach zehn Stunden erste Anzeichen der Strahlenkrankheit auf: Übelkeit und ein Rückgang der weißen Blutkörperchen.
Wie Wissenschaftler herausgefunden haben, hat dieses stark belastete Wasser eine riesige Blase gebildet.
Nach Untersuchungen der Strömungsverhältnisse im Pazifischen Ozean hat das gravierende Folgen für den gesamten Pazifikraum und die angrenzenden Küstengebiete.
Fische bluten aus Kiemen, Bäuchen und Augäpfeln
Entlang der Pazifikküste Kanadas und Alaskas ist die Population des Rotlachses auf ein historisches Tief gesunken. Entlang der kanadischen Westküste erkranken Fische: Sie bluten aus Kiemen, Bäuchen und Augäpfeln.
Experten schätzen, dass sich die Radioaktivität der Küstengewässer vor der US-Westküste in den nächsten Jahren verdoppeln wird.
In Kalifornien stellten Wissenschaftler bei einer Untersuchung von 15 Blauflossen-Thunfischen fest, dass alle durch radioaktive Stoffe aus Fukushima kontaminiert waren.
Experten fanden im Plankton zwischen Hawaii und der Westküste der USA sehr große Mengen von Cäsium-137. Plankton ist der Beginn der maritimen Nahrungskette.
Nach einer Simulation des Geomar Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung in Kiel werden bis zum Jahre 2020 auch die entlegensten Winkel des Pazifischen Ozeans mit größeren Mengen radioaktiver Stoffe verseucht sein.
Folgende Fanggebiete sind durch die nuklearen Katastrophen Fukushimas bisher radioaktiv kontaminiert:
- 61 Nordwest-Pazifik
- 67 Nordost-Pazifik
- 71 Westlicher Zentralpazifik
- 77 Östlicher Zentralpazifik
- 81 Südwest-Pazifik
- 87 Südost-Pazifik
- 88 Antarktischer Pazifik
Ein Grund für die anhaltende Kontaminierung des Pazifiks ist die große Anzahl von Tanks auf dem Gelände des Atomkraftwerks, in denen das verseuchte Kühlwasser gespeichert wird – und der Zustand dieser Tanks ist eine einzige Katastrophe.
Einer der Arbeiter, die auf dem Tepco-Gelände arbeiteten, gibt an, dass sie damals den Auftrag erhielten, so schnell wie möglich so viel wie möglich an Tanks herzustellen. Er sagt auch, dass dabei nicht optimal gearbeitet wurde, dass auch die Umstände der Arbeit eine gute Arbeit verunmöglichten, so wurde z. B. der Rostschutz bei Regen und Schnee aufgebracht, was dazu führte, dass die meisten der Tanks heute lecken und dass kontaminiertes Wasser so stetig ins Grundwasser gelangt.
Ein weiterer Grund der Sorge sind die unglaublichen Mengen an Säcken mit kontaminierter Erde, die in der Präfektur Fukushima gesammelt wurden
Sie bedecken große Grundflächen – um genau zu sein, umfasst das Areal des Lagers die Größe von 22 000 olympischen Schwimmbecken – die Frage der Entsorgung oder Endlagerung ist nicht gelöst und wird auch für längere Zeit nicht gelöst werden können, weil keine Präfektur bereit ist, diesen kontaminierten Müll aufzunehmen.
Auswirkungen auf die Natur
In der Zwischenzeit melden Biologen zahlreiche Mutationen im Pflanzen- und Tierreich. Nicht nur Nadelbäume, so wird in Nature.com berichtet, sondern auch andere Pflanzen zeigen ein anderes, verändertes Wachstum.
Bereits 2013 berichtete die Daily Mail über veränderte Obst- und Gemüse-Funde. Bereits im Sommer 2012 wiesen Wissenschaftler auf Mutationen bei einer Schmetterlingsart hin.
Nach der Reaktorhavarie von Fukushima wunderten sich viele Menschen in belasteten Gebieten über ein verändertes Verhalten der Vögel: Wo sich die Tiere normalerweise um reife Früchte balgten, tauchten sie einfach nicht mehr auf. Sie schienen die Sperrzonen zu meiden. Diesen Eindruck teilt Timothy Mousseau von der University of South Carolina:
„Wir begannen im vergangenen Sommer mit unseren Untersuchungen und schauten uns Gebiete an, die bei der Havarie schwach bis mittelstark kontaminiert worden waren. Dabei erwiesen sich – wie bei unseren Erfahrungen aus Tschernobyl – Vögel als empfindlich: In den stärker kontaminierten Gebieten gab es viel weniger.“
Dafür waren im Sommer 2011 in diesen Arealen Spinnen erheblich zahlreicher als in den unbelasteten Vergleichszonen. Bei den Insekten, die als besonders widerstandsfähig gelten, zeigten sich zunächst keine Veränderungen: bei Hummeln etwa, Heuschrecken oder Zikaden. Aber das war wohl nur eine vorübergehende Erscheinung – genau wie die Blütezeit der Spinnen: Im Sommer darauf hatte ihre Anzahl ebenfalls dramatisch abgenommen.
Timothy Mousseau von der University of South Carolina befasst sich mit Symptomen bei Schwalben. Sowohl im Jahr 1986 als auch im Jahr 2012, jeweils nach den Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima, habe man Schwalben mit ungewöhnlichen weißen Punkten im Gefieder nachgewiesen. Die Zahl der Tiere in Japan sei in den beiden Folgejahren noch angestiegen.
Japanische Forscher von der Nippon Veterinary and Life Science University in Tokio berichten zudem, dass Japan-Makaken in den Gebieten mit merklichem Fallout aus dem AKW Fukushima Daiichi deutlich schlechtere Blutwerte als Artgenossen aus einer weiter entfernten Region haben. Im April 2012 führten Kazuhiko Ochiai und Kollegen Blutuntersuchungen an einer Population von wild lebenden japanischen Affen durch, die die Waldfläche von Fukushima City besiedeln.
Der im Herbst 2015 gefangene „Monsterfisch“ kann eine Ausnahme-Erscheinung sein, aber vielleicht eben doch auch eine Mutation als Folge der Kontaminierung des Ozeans.
Auch das weltweit auftretende Massensterben, worüber wir mehrfach berichteten, von Muscheln, Krebsen, Fischen, Delphinen, Robben, Seelöwen und Walen bleibt rätselhaft und wird auch mit den kontaminierten Meeresströmungen in Verbindung gebracht.
Gesundheitliche Auswirkungen
Wie bereits im Vorjahr berichtet, sterben immer noch Menschen an den Folgen ihrer Umsiedlung. Das Verlassenmüssen ihrer Häuser, das Zurücklassenmüssen all ihrer Erinnerungsstücke, das Im-Stich-Lassen ihrer Tiere und die Umsiedlung in Notquartiere bedeuteten bei vielen betroffenen Bewohnern einen hohen Stressfaktor, an dem sie immer noch sterben.
Krankheit, Heimatlosigkeit, Selbstmord – obwohl durch den Super-GAU vom 11. März 2011 in Folge eines Erdbebens und gewaltigen Tsunamis in Fukushima niemand direkt ums Leben gekommen ist, sterben vier Jahre nach der Atomkatastrophe immer mehr Japaner an den Folgen. Wie die japanische Tageszeitung „Tokyo Shimbun“ vor einem Jahr berichtete, erhöhte sich die Zahl der Opfer seit März 2014 um 18 Prozent auf 1232 Tote. Damals konnten noch immer rund 120 000 Menschen wegen der Strahlung nicht zurück in ihre Heimat. Zehntausende von ihnen hausen weiterhin in containerähnlichen engen Behelfsunterkünften – diese machen sie krank. Überlebende des Tsunamis beklagen, dass der Wiederaufbau nur schleppend vorankomme. Viele begehen Selbstmord.
Nach dem Atomunglück von Fukushima im März 2011 versicherte die japanische Regierung immer wieder: Die freigesetzte Strahlung wird keinesfalls zu mehr Krebserkrankungen in der Umgebung führen. Doch vier Jahre nach der Reaktorkatastrophe steigt dort die Zahl der Fälle von Schilddrüsenkrebs.
Zusehends ergründen aber Wissenschaftler aus aller Welt die aus dem Unfall resultierenden Vorkommnisse, insbesonders auch, was die Auswirkungen auf die Geburtszahlen anlangt. Normalerweise ist das Geschlechterverhältnis, also die Rate der männlichen zu weiblichen Neugeborenen für eine Region konstant. In der kaukasischen Region beträgt es etwa 106 Jungen zu 100 Mädchen. Jede Veränderung stellt einen Indikator für mögliche Belastungen der Mütter oder der ungeborenen Kinder während der Schwangerschaft dar. Da ionisierende Strahlung Mutationen im Erbgut und Zellschäden verursacht, kann sie auch zu Frühaborten führen und somit das Geschlechterverhältnis bei der Geburt beeinflussen.
Scherb zeigte in seiner Analyse des Geschlechterverhältnisses in Europa, dass es in Abhängigkeit der Höhe des Tschernobylfallouts zu signifikant weniger Mädchengeburten kommt. Er errechnete, dass infolge der Tschernobylkatastrophe ca. 800 000 Mädchen in ganz Europa weniger geboren wurden, also vermutlich bereits als Embryonen oder Föten durch die Folgen der Strahlung verstarben und die Schwangerschaft (zum Teil sicher unbemerkt) vorzeitig mit einem Frühabort endete.
Seit dieser Arbeit haben Scherb und Voigt zahlreiche weitere Atomstandorte (Atomkraftwerke, Atommülllager) untersucht und überall das gleiche Phänomen gefunden: Weniger Mädchengeburten in Abhängigkeit zur jeweiligen Strahlenexposition, auch wenn sich diese nur im Bereich von ca.1 mSv bewegt
.
Damit zeigt sich, dass sich die Lehrmeinung von der 100 mSv-Schwelle, unter der keine genetischen oder teratogenen Schäden sichtbar werden, nicht aufrechterhalten lässt.
Emissionen und Kontamination
Die multiplen Kernschmelzen von Fukushima stellen die größte Atomkatastrophe seit dem Super-GAU von Tschernobyl im Jahr 1986 dar. Seit März 2011 treten täglich radioaktive Isotope aus den havarierten Reaktoren aus. Die Katastrophe dauert bis zum heutigen Tag an, auch wenn die Atomindustrie und Institutionen der Atomlobby wie die Internationale Atomenergie Organisation (IAEO) gerne von einem singulären Ereignis sprechen, das sich im Frühjahr 2011 ereignete und seitdem unter Kontrolle sei.
Dabei werden jedoch die kontinuierlichen Emissionen langlebiger Radionuklide wie Cäsium-137 oder Strontium-90 in die Atmosphäre, das Grundwasser und den Ozean ignoriert sowie die Rekontamination der Region durch Stürme, Überflutungen, Waldbrände, Pollenflug, Niederschlag oder gar durch Dekontaminationsarbeiten, die immer wieder zum Aufwirbeln und zur Verbreitung radioaktiver Isotope führen.
So wurden bereits deutlich außerhalb der Evakuierungszonen – auch mehrere Jahre nach Beginn der Atomkatastrophe – relevante Neukontaminationen mit Cäsium-137, aber auch mit Strontium-90 festgestellt. Schätzungsweise 23% des radioaktiven Niederschlags der Atomkatastrophe von Fukushima ging über dem japanischen Festland nieder.
Die am schwersten betroffenen Regionen liegen dabei auf der Osthälfte und im Zentrum der japanischen Hauptinsel Honshu, während die Westküste der Insel durch eine topographische Wetterscheide größtenteils vom radioaktiven Niederschlag verschont blieb. Doch auch weit im Süden und Norden des Inselstaats wurden erhöhte Ortsdosisleistungen gemessen.
So kamen Menschen in ganz Japan in Kontakt mit radioaktiven Isotopen – über eingeatmete Luft, verstrahltes Wasser oder kontaminierte Lebensmittel. Daher ist es wichtig, die Strahlenbelastung der Bevölkerung nicht nur für Fukushima und die benachbarten Präfekturen Chiba, Gunma, Ibaraki, Iwate, Miyagi und Tochigi zu messen, sondern auch weiter entfernt gelegene Präfekturen zu erfassen, die ebenfalls vom radioaktiven Niederschlag betroffen sind. So erhielten sowohl Tokio als auch die Präfekturen Kanagawa, Saitama, Shizuoka und Tokai am 15. und 21. März 2011 relevante Mengen radioaktiven Niederschlags.
Shizuoka, 400 km südlich von Fukushima und 140 km südlich von Tokio, wurden so stark radioaktiv kontaminiert, dass der 2011 geerntete Tee aus dem Handel gezogen werden musste.
Die restlichen 2 % der radioaktiven Emissionen verteilten sich Analysen zufolge über Kanada (40 TBq), den USA (95 TBq), Grönland (5 TBq), dem Nordpol (69 TBq), Europa (14 TBq), Schweden und Norwegen sowie anderen Teilen Asiens (47 TBq), vor allem Russland, den Philippinen und Südkorea.
Die Tatsache, dass sich der Großteil des Niederschlags über dem Ozean ereignete, ist zwar als Glücksfall für die Bewohner der umliegenden Präfekturen zu werten, sie bedeutet jedoch keineswegs, dass diese Strahlenmengen keine Gefahr mehr für die menschliche Gesundheit darstellen.
Damit aber in- und ausländische Medien nicht zu viel über den Unfall und seine Auswirkungen berichten, wurde 2013 ein „Maulkorberlass“ vom Unterhaus bestätigt. Premierminister Schinzo Abe führte sozusagen das „Amtsgeheimnis” ein. Damit sind Österreicher ja bestens vertraut. Darauf wird stets hingewiesen, wenn ein Beamter entweder seine Ruhe haben will, eine Frage nicht beantworten kann, weil ihm das Hintergrundwissen nicht zur Verfügung steht oder aber, wenn er Weisung von oben hat, darüber nichts, aber auch gar nichts auszuplaudern. Kein Wunder, dass auch nichts darüber nach außen dringt, dass es seit dem Unfall ununterbrochen Demonstrationen gibt: vor der Generaldirektion von Tepco, aber auch anderenorts, wo Japaner für den Ausstieg aus der Atomkraft kämpfen.
Noch ein Grund zur Sorge ist die Zuteilung des Olympischen Komitees – 2020 sollen die Olympischen Spiele in Japan stattfinden. Austragungs- bzw. Trainingsorte umfassen auch solche in der Präfektur Fukushima.
Der von Anfang an umstrittene Entwurf der Architektin Zaha Hadid für das neu zu erbauende Stadion in Tokio ist endgültig vom Tisch. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln der zur Olympiade anreisenden Sportler und Gäste soll dem Wunsch der Organisatoren nach aus der Präfektur Fukushima erfolgen.
Das japanische olympische Fußballteam wird in der Fukushima Präfektur trainieren. Und zwar dort, wo jetzt noch die mit den Aufräumungsarbeiten beschäftigten Arbeiter untergebracht sind. Dieses Gelände wird mit J-Dorf bezeichnet, es liegt am Rande der 20-Kilometer-Sperrzone um das Kraftwerk. Dort wurde die Schaltzentrale des Krisenmanagements eingerichtet. Sie umfasst Hubschrauberlandeplätze, ein medizinisches Versorgungszentrum und eilig errichtete Unterbringungen für das mit Aufräumungsarbeiten beschäftigte Personal. Nach Aufhebung der Sperrzone im September 2015 wird nun daran gearbeitet, das künftige Trainingscamp im Juli 2018 eröffnen zu können. Der Präsident des Fußballvereins JFA, Takato Maruyama, betont, dass man derzeit nicht sagen könne, ob die Dekontamination bis dahin abgeschlossen sein wird und ob es Auswirkungen durch Radioaktivität geben würde.
2016 steht im Zeichen der Reaktorkatastrophen: 5 Jahre Fukushima und 30 Jahre Tschernobyl. Das Uranium Film Festival wird deshalb an den Jahrestagen 11. März 2016 und 26. April 2016 Filme in Berlin sowie in Rio de Janeiro zeigen.
Das Internationale Uranium Film Festival besteht seit 2010 und bringt Dokumentar- und Spielfilme aus aller Welt zum Thema Atomkraft und radioaktive Gefahren ins Kino: vom Uranbergbau bis zum atomaren Unfall. Sie geben unabhängig produzierten Filmen, die man meist nicht im Fernsehen oder im Kino zu sehen bekommt, ein breites, internationales Publikum.
Ebenfalls hat der jüngste Film von Doris Dörrie Fukushima zum Inhalt: Überleben in Fukushima
Eine junge Deutsche kommt nach Fukushima – in das Katastrophengebiet – und versucht, den Menschen zu helfen, die dageblieben sind. Das ist die Rahmenhandlung von „Grüße aus Fukushima“, dem neuen Werk der Regisseurin, das auf der Berlinale vorgestellt wurde. Über ihren Besuch in Fukushima erzählt Doris Dörrie in einem Interview mit dem NDR.
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Netzfrau Lisa Natterer
The Ocean is Broken – a Fukushima reality – Deutsche Übersetzung!
Fukushima: Radioaktivität in Kanada nachgewiesen – Fukushima radiation nearing West Coast
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