Wahl zwischen Pest und Cholera: Syrische Kinder in der Türkei – Between Devil and Deep Blue Sea: Syrian Children in Turkey

Türkei8zur englischen Version Etwa 2,2 Millionen Vertriebene leben auf türkischem Boden, aber nur 260 000 von ihnen in Camps. Die übrigen kennt niemand und keiner weiß, wo sie sich aufhalten. Es gibt keine kontrollierte Einwanderung in die Türkei, keine Registrierung, keine Daten. Mehr als 900 Kilometer ist die Grenze zwischen der Türkei und Syrien lang. 2011 und 2012 stellt die EU der Türkei 440 Millionen Euro für die Grenzsicherung zur Verfügung. Die Türkei sollte u. a. die illegale Einwanderung verhindern.  Amnesty-Recherchen beweisen, dass die Türkei seit Januar fast täglich syrische Männer, Frauen und Kinder in Gruppen von bis zu 100 Menschen nach Syrien abgeschoben hat. Dieser Verstoß gegen internationales Recht ist ein weiterer Beleg dafür, dass die Türkei kein sicherer Drittstaat für Flüchtlinge ist, in den die EU bedenkenlos Schutzbedürftige zurückschicken kann.

Merkel und Tusk würdigten die Anstrengungen der Türkei in der Flüchtlingskrise. Syrische Flüchtlinge seien in der Türkei willkommen und mit der Aufnahme von rund drei Millionen Migranten habe die Türkei „den allergrößten Beitrag“ bei der Bewältigung der Flüchtlingsströme übernommen, sagte Merkel im türkischen Gaziantep. Doch wie sieht die Wirklichkeit aus?

Erdoğan stellt Forderungen und Merkel schweigt weiterhin – auch bei dem gestirgen Besuch in der Türkei. Wie weit darf ein Mann gehen, den man einen „Verbündeten“ nennt? In dessen Land die Gewalt eskaliert? Gewalt, die auch auf unsere Straßen überspringen könnte. Ein Mann, der verspricht, seine Kampfjets gegen den IS-Terror starten zu lassen; dessen Bomben jedoch seit Monaten ganz andere treffen. Die Türkei bekommt in diesem Jahr noch einmal von 36 auf 50 Millionen Euro Entwicklungshilfe! 

Bereits im Dezember berichteten wir, dass in  der Türkei Flüchtlinge gefangen gehalten werden, und zwar in Einrichtungen, die mithilfe von EU-Geldern betrieben werden. Flüchtlinge zeigten Amnesty Hinweisschilder von Betten und Regalen aus einem Haftzentrum, in dem sie gefangen gehalten wurden. „Es ist schockierend, dass die Europäische Union Haftzentren für Flüchtlinge in der Türkei finanziert“, so Wiebke Judith. „EU-Vertreter in Ankara bestätigten Amnesty International außerdem, dass es sich bei sechs geplanten Aufnahmezentren für Flüchtlinge, die die Türkei im Rahmen des neuen Aktionsplanes mit EU-Mitteln einrichtet, in Wahrheit um Haftzentren handelt.“Lesen Sie dazu: Erdogans Doppelspiel – Der schmutzige Deal zwischen der EU und der Türkei

Wir haben einen Beitrag für Sie übersetzt, der die Situation der Flüchtlinge in der Türkei schildert. Die Türkei, in der viele Kinder für lokale Kleidungs-, Schuh- und Kosmetik-Betriebe als billige Arbeitskräfte eingesetzt werden. So auch bei der Ernte von Haselnüssen, drei Viertel der weltweiten Haselnüsse kommen aus der Türkei und werden von Kindern geerntet.

Wahl zwischen Pest und Cholera: Syrische Kinder in der Türkei

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Foto:  Ein syrischer Junge lächelt in die Kamera am dritten Tag des islamischen Opferfestes. (Foto: AFP)

Istanbul, Türkei: In der Stadt Esenyurt im Bezirk Istanbul, während der mosleminischen Eid-al-Adha-Festtage, zählt ein dürrer syrischer Junge seine Freunde an den Fingern ab.

„Vedat, Serkan, Sefa, Emre“, zählt Mohammed stolz die Namen seiner türkischen Freunde auf, als er mit seinem Vater das von einem Syrer betriebene Fleischerei-Café am Ort besucht.

Der kleine Achtjährige, der Türkisch auf der Straße beim Spielen gelernt hat, fungiert als Dolmetscher für seine Arabisch sprechenden Eltern und seinen sechs Jahre alten Bruder, der noch immer große Schwierigkeiten mit der Sprache hier hat – zwei Jahre nach der Flucht vor dem Krieg über die Grenze.

Wie die meisten der über eine Million syrischen Kinder, die in der Türkei leben, ist er alles andere als integriert.

„Ich mag die Türkei, denn in Syrien war der Krieg. Hier fühle ich mich sicher. Aber ich war noch nie in der Schule. Ich würde so gern zur Schule gehen!”, sagt er und lächelt scheu.

Während die europäischen Regierungschefs weiterhin über die Aufnahme der Flüchtlinge streiten, die wie eine Flut in den Kontinent strömen, wägen die Syrer in dem Land, das bisher die größte Last trägt, ihre Chancen für die Zukunft ab.

„Wenn der Krieg vorbei ist, gehen wir zurück nach Syrien. Nach Europa zu gelangen, ist zu schwierig“, sagt Mohammeds Vater Hussein und legt schützend die Hand auf die Schulter seines Erstgeborenen.

„Die Türken wollen uns nicht.”

Eine Zukunft in der Türkei ist keine Option mehr für viele der über zwei Millionen im Land lebenden syrischen Flüchtlinge, deren Leben eine einzige Plackerei zu Schwarzmarkt-Hungerlöhnen ist.

Und das auch nur für die, die Arbeit finden und deren Arbeitgeber auch bezahlen.

Wie viele der Kinder seines Alters in Esenyurt, wo lokale Kleidungs-, Schuh- und Kosmetik-Betriebe billige Arbeitskräfte rekrutieren, ging auch Halil (15) arbeiten, um seine Familie zu unterstützen.

Nachdem er zwei Monate lang Schuhe genäht hatte, kündigte er, weil sich sein Chef weigerte, ihm seinen Verdienst von 1250 Türkischen Lire (364 Euro bzw. $ 410) auszuzahlen.

„Ich konnte ihn nicht anzeigen, weil ich keine Aufenthalts-/Arbeitserlaubnis habe“, erklärt uns Halil an der Kasse des Cafés, wo er auf Suppe und Fladenbrot wartet.

„Es ist hier wie zu Hause. Es herrscht Krieg! Die Türken wollen uns nicht.“, wirft ein alter Mann ein.

Mehr und mehr Syrer empfinden das so – nach Monaten oder Jahren als „Gäste“ in der Türkei, ohne Arbeitserlaubnis und mit nur sehr eingeschränktem Zugang zu Grundversorgungsleistungen.

Auf der lebhaften Hauptstraße Istiklal Caddesi in Istanbul ist die wachsende Gleichgültigkeit der türkischen Durchschnittsbürger gegenüber der schlimmen Notlage der Flüchtlinge deutlich zu erkennen.

Die Besucher im Einkaufszentrum nehmen nicht einmal mehr wahr, dass ein kleiner syrischer Junge zusammengerollt daliegt vor dem Eingang eines Bekleidungsgeschäfts – mit einer Plastikschale für Münzen in seinem Ellenbogen.

Gefangen in der Zwickmühle

Einige hundert Meter entfernt schmiegt sich ein Achtjähriger mit engelhaften Gesichtszügen, jedoch mit stark gerunzelter Stirn, eng an seinen älteren Bruder, der auf und ab geht und versucht, Taschentücher zu verkaufen.

Die beiden versuchen auf diese Weise, das Einkommen der Familie aufzubessern (rund 600 Lire, die ihr Vater mit dem Verkauf von Metallschrott verdient und die für nur wenig mehr als die Container-Miete von 400 Lire reichen).

Mokhtar umklammert den Geldschein, den ihm ein Kunde gab, fest mit seiner kleinen Faust. „Das Geld ist bei ihm sicherer“, sagt der 18-jährige Mohammed, hebt sein T-Shirt an und zeigt uns die Stichwunden auf seiner Brust, die ihm zugefügt wurden, als man ihn auszurauben versuchte.

Frustriert davon, wie zweitklassige Einwohner behandelt zu werden, versuchen nun viele, die in der Türkei nur das Ende des Krieges abwarten wollen, sich Geld zusammenzusparen, um Schmuggler bezahlen zu können, die sie mit Booten über das Mittelmeer nach Europa bringen.

„Syrische Familien wollen, was alle Familien wollen, überall auf der Welt. Sie wollen in Sicherheit leben und eine Arbeit haben, die es ihnen ermöglicht, für ihre Kinder zu sorgen, sie zur Schule zu schicken, krankenversichert zu sein und ihnen eine Zukunft zu geben“, sagt Philippe Duamelle, UNICEF-Vertreter in der Türkei, gegenüber AFP.

Die Verbesserung der Bildungsmöglichkeiten für Flüchtlinge in der Türkei ist zur Top-Priorität nicht nur für die Regierung in Ankara geworden, sondern auch für die EU-Staaten, die darauf bedacht sind, den Strom der Migranten aufzuhalten, der sich auf Europa zu bewegt.

Von den 600 000 in der Türkei lebenden syrischen Kindern im schulpflichtigen Alter erhält nur etwa ein Drittel Unterricht.

Eine „verlorene Generation” verhindern

Für Eltern gibt es viele Hindernisse bei der Anmeldung ihrer Kinder an einer Schule, allen voran die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Erhalt einer Aufenthaltserlaubnis, die oftmals Voraussetzung ist für einen Sitz auf der Schulbank.

Unterstützt durch eine finanzielle EU-Förderung in Höhe von 12,5 Millionen Euro (14 Millionen Dollar), beabsichtigt UNICEF nun, schnellstens mehr Schulen für Flüchtlingskinder zu bauen und gleichzeitig an den türkischen Schulen die Kapazitäten zur Aufnahme von mehr Schülern zu erhöhen.

Mohammed, der achtjährige Junge aus Esenyurt, hofft darauf, bald das ABC lernen zu dürfen. Wenn er groß ist, sagt er, wird er Schneider – wie sein Papa.

„Nicht Schneider! Ich möchte, dass du Arzt oder Rechtsanwalt wirst“, sagt Hussein in leicht tadelndem Ton.

Duamelle warnt: Wenn die Kinder ihr Potenzial nicht entwickeln können, ist das ein „Desaster”.

„Für die internationale Gemeinschaft besteht die Gefahr des Verlustes einer ganzen Generation syrischer Kinder”, warnt er. „Das wäre wirklich schrecklich und hätte verheerende Konsequenzen, nicht nur für die Kinder selbst, sondern auch für Syrien, den Mittleren Osten und weit darüber hinaus.“

http://www.nrc.no/?did=9214091#.VryCn_nhBaR

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Between Devil and Deep Blue Sea: Syrian Children in Turkey

http://www.ndtv.com/ Ersterscheinungsdatum: 1. Oktober 2015, 10:03 IST

Istanbul, Turkey:  In the Istanbul district of Esenyurt, during the Muslim holiday of Eid, a skinny Syrian boy counted his friends on his fingers.

„Vedat Serkan Sefa Emre,“ Mohammed said, listing off the Turkish names with pride during a visit to the local Syrian-owned cafe and butchery with his father.

The pint-sized eight-year-old, who picked up Turkish playing on the street, acts as translator for his Arabic-speaking parents and six-year-old brother, who still struggle with the local language two years after fleeing the war across the border.

But like most of the over one million Syrian children living in Turkey, his integration is far from complete.

„I like Turkey because in Syria there was a war. Here, I feel safe. But I’ve never been to school. I’d love to go to school!“ he said, smiling shyly.

As European leaders continue to slug it out over how to absorb the tide of refugees streaming into the continent, Syrians in the country that has borne the biggest load are weighing their options for the future.

„When the war is over we’ll return to Syria. Getting to Europe is too difficult,“ Mohammed’s father Hussein said, with a protective hand on the shoulder of his firstborn.

‚Turks don’t want us‘

But the future no longer features Turkey for many of the country’s over two million Syrian refugees, for whom life is a grind on pittance black market wages.

That’s for those who find work, and when the bosses pay up.

Like many children his age in Esenyurt, which supplies labour for local clothing, shoe and make up factories, Halil, 15, went out to work to help support his family.

But after two months sewing shoes, he quit after his boss refused to hand over his 1,250 Turkish lira (364 euros, $410 dollars) in earnings.

„I couldn’t report him to the police because I don’t have a resident’s permit,“ Halil explained as he waited at the cafe counter for soup and flatbread.

„Here’s it is like at home. It’s war! The Turks don’t want us,“ an older man interjects.

After months or years as „guests“ in Turkey, with no right to work and limited access to basic services, more and more Syrians feel that way.

The growing indifference of ordinary Turks to the plight of the refugees is plain to see on Istanbul’s bustling Istiklal Caddesi high street.

Shoppers mill past without so much as a glance at a young Syrian boy lying curled up in a ball at the entrance to a clothing store, a plastic tray for coins at his elbow.

Between sea and hard place

A few hundred metres (yards) away, an eight-year-old with cherubic features knitted in a frown clings tightly to his older brother who is walking up and down hawking paper hankies.

The pair work to supplement the around 600 liras their father makes selling scrap metal, which just about covers their rent of 400 liras in a prefab.

Little Mokhtar’s fist is wrapped tightly around a banknote handed over by a customer. „The money’s safer with him,“ says 18-year-old Mohammed, lifting up his T-shirt to show the stab wounds he sustained to the chest when thugs tried to rob him.

Frustrated at being treated like second-class citizens, many of those who had been just biding their time in Turkey while waiting for the war to end are now saving to pay a smuggler to ferry them across the Mediterranean to Europe.

„Syrian families want what families the world over want. They want to live in security, have work that allows them to provide for their children, send them to school, receive healthcare and give them a future,“ Philippe Duamelle, UNICEF’s representative in Turkey told AFP.

Improving refugees‘ access to education in Turkey has become a top priority of the Ankara government and European countries anxious to hold back the tide of migrants landing on their shores.

Of the 600,000 Syrian children of schoolgoing age in Turkey only about a third are attending classes.

Preventing ‚lost generation‘

Parents cite a host of obstacles in enrolling their children in school, including the difficulties involved in obtaining the resident’s permit often demanded for a seat on a school bench.

Buoyed by an EU funding boost of 12.5 million euros ($14 million), UNICEF aims to rapidly build more schools for refugee children and also help build capacity at Turkish schools to take in more pupils.

Mohammed, the eight-year-old in Esenyurt, hopes to soon be learning his ABCs. When he grows up, he says, he want to be a tailor, like his dad.

„Not a tailor! I want you to be a doctor or a lawyer,“ Hussein says, gently chiding him.

Duamelle warns the failure of the children to fulfil their potential would be „disastrous“.

„The risk today for the international community,“ he warns, „is to see a lost generation of Syrian children, which would be absolutely dreadful and would have disastrous consequences not just for the children themselves but for Syria, the Middle East and beyond.“

Netzfrauen Heike Garisch (Übersetzung) und Doro Schreier 
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