Frankreich hat es vorgemacht: Ein neues Gesetz verbietet Supermärkten, essbare Lebensmittel wegzuwerfen. Vorgeschrieben sind Preisnachlässe für Unverkauftes, kostenlose Abgabe an gemeinnützige Organisationen oder zur Tierfütterung. Bildungsarbeit und eine veränderte Einkaufsstrategie gehören zum Paket dazu. Hier in Deutschland gibt es zwar vollmundige Ankündigungen, aber die ungeheuren Mengen essbarer Lebensmittel, die auf den Müll wandern, sinken kaum. Containern ist strafbar!
Wer Lebensmittel wegwirft, vergeudet wertvolle Ressourcen wie Wasser, Energie und Boden und nicht zuletzt die Arbeit, die viele Menschen in die Erzeugung, Verarbeitung und den Transport investiert haben.
Die eigentlich simple Idee hat sich bewährt: Lebensmittelreste, die nicht mehr verkauft werden können, werden von Menschen genutzt, die sich diese sonst nicht leisten könnten. Schon längst ist Containern, auch Mülltauchen oder Dumpstern genannt, in der Gesellschaft angekommen. Doch wussten Sie, dass es strafbar ist? Supermärkte entsorgen Lebensmittel, obwohl sie noch genießbar sind. Wenn Menschen über Mauern klettern und das weggeworfene Essen aus den Containern holen, machen sich strafbar. „Lebensmittelretter“ bestrafen? Müsste es nicht umgekehrt sein?
Mehr als die Hälfte aller Lebensmittel landet im Müll! Mit diesem Ergebnis schockierte die Dokumentation „Taste the Waste“ im Jahre 2011 und löste eine heftige öffentliche Debatte aus. Doch was hat sich geändert?
„Mülltaucher“ vor Gericht
Demnächst müssen sich zwei Aachener vor Gericht verantworten, weil sie genießbare Lebensmittel aus den Mülltonnen eines REWE-Supermarkts retteten. Ihnen wird „schwerer Diebstahl“ zur Last gelegt. Bereits vor zwei Jahren sorgte der Prozess von drei Studenten aus Witzenhausen für Empörung. Ihnen wurde vorgeworfen, auf dem Gelände des Tegut-Marktes „An der Bohlenbrücke“ in einen mit Gittern gesicherten Bereich eingedrungen zu sein und die Lebensmittel gestohlen zu haben. 4500 Euro Strafe pro Person oder drei Monate Gefängnis. Im Vorfeld hatten die Studierenden einen Brief an die Witzenhäuser tegut-Filiale geschrieben und der Prozess wurde mit Protesten begleitet. Am Ende folgte der Freispruch: Der Richter begründete den Freispruch, dass den Angeklagten nicht nachgewiesen werden konnte, dass sie Lebensmittel vom Tegut-Markt in Witzenhausen gestohlen hatten. Auch sei nicht nachweisbar gewesen, ob es sich um abgelaufene Lebensmittel handelte oder um Lebensmittel, die an die Tafeln gespendet werden sollten. Außerdem fand die Polizei viele Lebensmittel, die von anderen Märkten stammen.
Dass Menschen dafür bestraft werden, Lebensmittel aus dem „Müll“ zu holen, ist nicht neu. Wir erinnern uns noch an den Fall in Lüneburg, der sich 2010 zutrug. Ein 51-Jähriger stand wegen Hausfriedensbruch vor dem Amtsgericht Lüneburg. Der Mann hatte abgelaufene Kekse aus dem Müll entwendet. Ein Streit war entfacht, ob Containern, also das Mitnehmen von Lebensmitteln aus Müllbehältern von großen Supermärkten als legitimes Mittel angesehen werden kann. Die Staatsanwaltschaft schickte dem Lüneburger einen Strafbefehl mit der Aufforderung, 240 Euro zu zahlen. Dagegen legt der 51-Jährige Einspruch ein. Erst 2012 erfolgte dann endlich der Freispruch. Ob das Entwenden weggeworfener Lebensmittel illegal ist, wurde allerdings nicht verhandelt.(Az.: 29NS/1106 Js21744/10 16/11).
Rechtlich ist das „Containern“ hierzulande strafbar. Seine Anhänger können wegen Hausfriedensbruchs oder gar Diebstahls belangt werden. Selbst Abfall hat juristisch einen Eigentümer, auch wenn derartige Verfahren oft wegen Geringfügigkeit eingestellt werden
Derartige Verfahren wie in Aachen, bei denen sich „Mülltaucher“ vor Gericht verantworten müssen, sind jedoch längst kein Einzelfall mehr. „In ganz Deutschland kommen ähnliche Fälle ans Tageslicht“, sagt Ben Krebs, ebenfalls Mitbegründer. Deshalb hat die Initiative eine Internet-Petition an die Staatsanwaltschaft Aachen unter www.change.org/containern erstellt. Mittlerweile haben dort bereits über 93 500 Menschen unterschrieben.
Zur Petition:
Hier Petition richtet sich an Staatsanwaltschaft Aachen
Containern ist kein Verbrechen!
Italiens oberster Gerichtshof hat entschieden, dass das Stehlen von Essen zum Überleben keine Straftat ist
Laut BBC ging es um den Fall eines Obdachlosen: In erster Instanz wurde der Mann zu einer sechsmonatigen Gefängnisstrafe und einer Geldstrafe von 100 Euro verurteilt, nachdem er 2011 beim Stehlen von etwas Wurst und Käse erwischt worden war. Nachdem der Fall nun neu aufgerollt wurde, entschied das Oberste Gerichtshof: Lebensmittel zu entwenden, weil man stark hungert, darf nicht als Verbrechen angesehen werden. Noch besser ist das, was der Richter am Schluss des Urteils sagte: Eine versuchte Straftat, bei der es um Lebensmittel im Wert von gerade mal etwas mehr als 4 Euro ging, führte zu ganzen drei Anhörungen. Da ist doch etwas grundlegend falsch!
Mundraub in Deutschland:
Mundraub ist ein abgeschaffter deutscher Straftatbestand. Er bezeichnete bis zur Strafrechtsreform von 1975 die Entwendung oder Unterschlagung von Nahrungs- oder Genussmitteln in geringer Menge oder von unbedeutendem Wert zum alsbaldigen Verbrauch (früher § 370 Abs. 1 Nr. 5 StGB) . Zuletzt wurde Mundraub mit einer Geldstrafe bis 500 Mark oder einer Freiheitsstrafe bis sechs Wochen bestraft.
Wenn man sich zum Beispiel einen Apfel aus einem fremden Garten nimmt, ist es nach heutigem geltendem Recht Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen gemäß § 248a StGB – wird aber nur noch auf Strafantrag verfolgt. Wo kein Kläger, da kein Richter.
Die Bewegung „Containern“ entstand Mitte der 90er Jahre in den USA. In Städten wie New York gab es dort sogar eigene „Trash Tours“, Container-Führungen für Neulinge in dieser Szene.
Sie verstehen ihre Aktionen in erster Linie als Kritik an Kapitalismus und Wegwerfgesellschaft. Mülltaucher wollen für einen bewussteren Umgang mit Lebensmitteln werben. Viele gehen einem geregeltem Job nach und handeln nicht aus Not. In speziellen Internet-Blogs berichten die Resteverwerter über ihre Beutezüge. http://www.dumpstern.de — http://www.containern.de/
Auf dem folgenden Video können Sie sehen, was alles weggeworfen wird.
Positive Beispiele:
Es ist schon erschreckend, dass man nicht mal den Namen nennen darf, um zu verhindern, dass nicht doch noch eine Anzeige erfolgt, also hier eine Geschichte, die bereits seit vielen Jahrzehnten als selbstverständlich angesehen wird:
Ein kleiner Ort irgendwo im Norden. Ein Mann holt die Reste von einem großen Discounter wie Obst, Gemüse und Brot – und dies seit Jahren. Zuhause wird dann die Errungenschaft aussortiert. Was nicht verwertbar ist, bekommen die fünf Hausschweine, Kaninchen oder Hühner. Alles andere wird verarbeitet, entweder zu Marmelade oder wird eingefroren, früher auch eingekocht oder verteilt. Es hat sich eine richtige Gruppe gebildet, die sich die Errungenschaften holen. Heute sind alle Rentner und viele sind dankbar für Obst, Kartoffeln u. s. w. Es ist ein Kreislauf entstanden, mit den Resten werden die Tiere gefüttert, die dann in einer Hausschlachterei geschlachtet werden und dann auch wieder an die Gruppe zum Selbstkostenpreis abgegeben werden. Fazit: es wird nichts verschwendet. Und den Begriff Essensretter kennen diese Leute nicht, es war schon immer eine Selbstverständlichkeit, nichts wegzuwerfen.
Genau das hätten wir uns auch als Fazit aus der Dokumentation „Taste the Waste“ gewünscht. Doch noch immer werden Lebensmittel weggeworfen, landen in Biogasanlagen oder auf dem Müll. Muss denn alles so perfekt sein? Sind wir Verbraucher alle so oberflächlich geworden, dass wir das Aussehen dem Geschmack vorziehen? Haben wir nichts anderes zu tun, als „Containern“ auch noch zu bestrafen?
Essensretter starten Restaurant in Berlin
Seit dem 18. Mai zaubern sie gleich an vier Tagen die Woche leckere Gerichte aus aussortierten Lebensmitteln: Das Restaurant gegen Lebensmittelverschwendung «Restlos glücklich» in Berlin. Ähnliche Restaurants gibt es in Kopenhagen und Amsterdam und dieser Trend setzt sich fort. Lebensmittelbeschaffung. RESTLOS GLÜCKLICH ist mehr als nur ein Restaurant – es ist ein Ort, an dem jeder sein Bewusstsein für das Thema Lebensmittelverschwendung stärken kann.
50 Prozent aller Lebensmittel werden weggeworfen: Jeder zweite Kopfsalat, jede zweite Kartoffel und jedes fünfte Brot. Das meiste davon endet im Müll, bevor es überhaupt den Verbraucher erreicht.
In Frankreich begann alles mit einer Petition – Stop au #GâchisAlimentaire en France! – 211 278 Unterstützer/innen machten mit und waren erfolgreich! Frankreich geht nun mit einem Gesetz gegen die Verschwendung von Lebensmitteln vor. Künftig darf der Großhandel unverkaufte Nahrungsmittel nicht mehr wegwerfen, beschloss das Parlament. Jeder Franzose wirft jährlich im Durchschnitt 20 bis 30 Kilogramm Lebensmittel weg, was einem Wert von 12 bis 20 Milliarden Euro pro Jahr entspricht.
Lebensmittelabfälle sind eine große Bedrohung nicht nur für unsere Wirtschaft, sondern auch für den Planeten. Allein in den USA werden rund 60 Millionen Tonnen Nahrungsmittel jährlich verschwendet. Das ergibt jedes Jahr einen geschätzten Wert von 162 Milliarden Dollar. Weltweit wird ein Drittel aller produzierten Lebensmittel nie verbraucht, das sind etwa 1,3 Milliarden Tonnen. Die Gesamtkosten dieser Abfälle betragen nach Angaben von Waste and Resources Action Program (WRAP) jährlich fast 400 Milliarden US-Dollar. Wie viele Hungernde könnten damit ernährt werden?!?
Pro Person und Jahr sind das rund 82 Kilogramm Lebensmittelabfall. Diese Menge setzt sich zusammen aus 26 % Gemüse, 18 % Obst, 15 % Backwaren, 12 % Speisereste, 8 % Milchprodukte, 7 % Getränke, 6 % Fleisch und Fisch, 5 % Teigwaren und 3 % andere Lebensmittel.
Mehr Informationen: Füttert nicht die Mülltonnen! Nach Frankreich folgt nun UK – Tisch statt Tonne
Dieses Video bringt es auf den Punkt!
Welche Rolle spielen die Supermärkte?
Die Bundesregierung zielt mit ihrer Kampagne “Zu gut für die Tonne” fast ausschließlich auf die VerbraucherInnen. Aber allein Appelle an die VerbraucherInnen reichen nicht, wenn die Regierung das sich selbst gesteckte Ziel erreichen will, in den nächsten fünf Jahren die skandalöse Lebensmittelverschwendung um die Hälfte zu reduzieren. Die Landwirtschaft, die Industrie, das Transportwesen und der Groß– und Einzelhandel müssen stärker und offensiv zu Veränderungen gebracht werden.
Die Supermärkte spielen eine zentrale Rolle bei der Verringerung der Lebensmittelverschwendung. Zum einen werfen sie selbst tonnenweise essbare Lebensmittel weg, weil ein Mindesthaltbarkeitsdatum näher rückt oder eine braune Stelle ein Stück Obst oder Gemüse weniger ästhetisch erscheinen lässt. Zum anderen haben sie in der Geschichte des großen Wegwerfens eine Scharnierfunktion: Sie entscheiden durch ihre Beschaffungspraxis mit darüber, wie viel Gemüse als unverkäuflich auf den Äckern verbleibt. Durch ihre Werbung und Kaufanreize mittels Sonderangeboten und Großgebinden steuern sie, was und wieviel KonsumentInnen mehr nach Hause tragen, als sie eigentlich benötigen. Das führt zu einem Konsumrausch und verschärft die Überproduktion entlang der gesamten Produktionskette. Mehr dazu: Füttert nicht die Mülltonnen! Nach Frankreich folgt nun UK – Tisch statt Tonne
Deutschland scheint bei manchen Themen alles andere als „vorne dabei“ zu sein. Andere EU-Länder wie z. B. Frankreich, Italien und Belgien und auch die Supermarktkette Tesco gehen mit gutem Beispiel voran: Lebensmittel in den Müll – war gestern.
Zwei Menschen müssen sich wegen „schweren Diebstahls“ vor Gericht verantworten, weil sie gutes Essen aus Mülltonnen retteten. >>> Petition Containern ist kein Verbrechen!
Wir fordern:
– die sofortige Einstellung des Verfahrens!
– die Entkriminalisierung des Containerns!
– das Verbot, genießbare Lebensmittel in Landwirtschaft, Handel und Industrie zu vernichten!
Netzfrauen
Mehr Informationen:
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