Es ist bislang die größte Flüchtlingstragödie, die sich vor der ägyptischen Küste ereignete. Ein Boot mit über 600 Menschen aus Syrien, Ägypten und Afrika kenterte auf dem Weg nach Italien. Die staatliche Nachrichtenagentur MENA zitierte einen lokalen Beamten, der das Unglück bestätigte. Die Leichen wurden aus dem Wasser in der Nähe der ägyptischen Küstenstadt Kafr El Sheikh etwa 134 km nördlich von Kairo gezogen. Presseberichten zufolge konnten Rettungskräfte 163 Menschen retten und 42 Leichen wurden geborgen.
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Die UNHCR Egypt bestätigte, dass die ägyptische Regierung eine Suchaktion gestartet hat. Demnach soll das Flüchtlingsboot schon vor fünf Tagen gestartet sein.
Immer öfter starten Flüchtlinge über Ägypten ihre lebensgefährliche Reise über das Meer. Der Ausgangspunkt der Schlepper-Maschinerie des Schreckens übers Mittelmeer hat sich von Libyen verlagert nach Ägypten, ein gewissenloses Geschäft mit dem Leben der Allerärmsten auf der Flucht vor Not und Elend. Die Methode ist immer dieselbe mit immer denselben entsetzlichen Folgen: Ein schwimmendes Wrack oder ein geflicktes Schlauchboot wird vollgepfercht bis ins letzte Eck, fährt dann aufs Meer, meldet per Funk Seenot und ruft Rettungsschiffe der EU. Nicht immer aber kommen diese rechtzeitig, zuletzt sind wieder vermutlich hunderte Flüchtlinge ertrunken, weil ihr Boot kenterte, so der Journalist Karim El-Gawhary Arabesken. Auch andere Medien wie die BBC berichten von Hunderten von Toten, die Aussagen sind widersprüchlich, denn die richtige Zahl weiß niemand.
Die meisten Flüchtlinge bleiben anonym. Anonym liegen sie tot am Strand oder auf dem Meeresgrund. Sie dachten, sie wären fast am Ziel im rettenden Europa. Doch sie sind ertrunken, weil die Schlepper wieder ein Schiff so überladen hatten, dass es kenterte. Alle europäischen Regierungen, die sonst gerne von Menschenrechten und dem westlichen Wertesystem reden, verschieben das Flüchtlingsproblem an die europäischen Außengrenzen und in die Drittstaatenregelung. Die sogenannten „hot spots“ sind längst errichtet. Was die Flüchtlinge auf dem Weg bis zu einer Grenze der westlichen Welt mitgemacht haben, bekommt kaum jemand mit. Erst im April berichteten wir über 400 Flüchtlinge, die zwischen Ägypten und Italien ertranken. Sie kamen zum größten Teil aus Somalia.
Allein dieses Jahr sind laut UNHCR bis jetzt über 300 000 Flüchtlinge über das Mittelmeer nach Europa geflüchtet
Die Ägyptischen Behörden haben angekündigt, die Flüchtlinge an dem Versuch, übers Mittelmeer zu fliehen, zu hindern. In den letzten Monaten konnten sie mehrere Versuche vereiteln. Werden illegale Flüchtlinge erwischt, werden sie verhaftet. Erst diesen Monat (September) wurden 155 Personen an dem Fluchtversuch übers Mittelmeer nach Europa gehindert und verhaftet.
Was bekommt Ägypten dafür, dass das Land Flüchtlinge zurückhält? Waffenlieferungen?
Kairo wirft schon länger dem zwischen der EU und der Türkei geschlossenen Flüchtlingsabkommen vor, einen Flüchtlingsansturm nach Ägypten verursacht zu haben, und fordert verstärkte Hilfen für die Bekämpfung der Krise.
François Hollande war anlässlich eines Staatsbesuchs im April 2016 für 2 Tage in Ägypten. Frankreich beabsichtigt, die bilateralen Beziehungen zwischen beiden Ländern zu verstärken und eine weiter wachsende militärische Zusammenarbeit zu ermutigen, der Verkauf von französischen Waffen stand im Mittelpunkt. Zum ersten Mal hat der französische Präsident am 17. April 2016 die Frage der Menschenrechte mit seinem ägyptischen Amtskollegen angesprochen.
Offiziell sind Waffenlieferungen nach Ägypten seit 2013 verboten. Doch zahlreiche EU-Länder ignorieren das Lieferverbot. Auch Deutschland gehört dazu. Deutsche Rüstungsbetriebe beliefern Ägypten schon seit vielen Jahren mit Waffen und Rüstungstechnologie. Siehe Rüstungsexporte: Das Geschäft mit U-Booten boomt – auch in Krisenländern wie Ägypten
Allein 2014 haben EU-Mitgliedsstaaten Waffenexporte nach Ägypten im Gesamtwert von mehr als sechs Milliarden Euro genehmigt.
Polizeigewalt und Folter sind immer noch Kernpunkt der Besorgnisse in Ägypten trotz der Revolution von 2011, die den Übergriffen der Polizei ein Ende setzen wollte. Laut ECRF, einer ägyptischen NRO, sind im Jahr 2015 1850 Ägypter verschwunden. Abgeholt von der Polizei werden sie heimlich ohne jegliches Gerichtsverfahren festgehalten. Die Toten unter den Festgehaltenen haben sich verdreifacht. Die politischen Gefangenen belaufen sich auf über 40 000. Und regelmäßig fällt die Polizei durch Fehlverhalten auf, das die meiste Zeit unbestraft bleibt.
Die Menschenrechtslage in Ägypten ist dramatisch. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) wirft den ägyptischen Sicherheitsbehörden vor, Hunderte Regierungskritiker verschleppt und gefoltert zu haben. Seit Anfang vergangenen Jahres habe die Zahl der Menschenrechtsverletzungen massiv zugenommen, heißt es in einem aktuellen Bericht. Teilweise seien auch Kinder im Alter von 14 Jahren darunter.
Ein Strafgericht in Kairo hat am 17. September 2016 entschieden, dass die Bankkonten von zahlreichen Aktivistinnen und Aktivisten und Organisationen eingefroren werden. Betroffen sind führende und preisgekrönte Menschenrechtsanwältinnen und -anwälte und andere Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidiger. Amnesty International betrachtet das Urteil als einen unverhohlenen Angriff auf die ägyptische Menschenrechtsbewegung. In den vergangenen Monaten haben die ägyptischen Behörden verstärkt Einschränkungen gegen Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger sowie Menschenrechtsorganisationen verhängt, beispielsweise in Form von Reiseverboten, dem Einfrieren von Finanzmitteln und Schließungsanordnungen gegen die Organisationen.
Libyen war bis vor kurzem das Durchgangsland für viele Flüchtlinge nach Europa. Werden Flüchtlinge auf See gerettet, landen sie im Gefängnis. Hier werden sie regelmäßig ausgeraubt, gefoltert, entführt und sexuell missbraucht. Es wird berichtet, dass die Bedingungen in der Haftanstalt, in der Flüchtlinge eingesperrt werden, unmenschlich sind. Die Zellen sind total überfüllt und es gibt keine Nahrung und keinen Zugang zu medizinischer Versorgung.
Bereits im April 2016 kündigte sich eine neue Flüchtlingswelle nach Europa an: In Libyen waren zu der Zeit rund 800 000 Migranten gestrandet und warteten auf die Weiterreise, sagte der französische InnenministerJean-Yves Le Drian. Noch gibt es seitens der EU keinen Plan, wie man diese Situation bewältigen will. Erst kürzlich hatten die EU-Spitzen einen Deal mit der Türkei zur Eindämmung der Flüchtlingsströme beschlossen, ein weiterer Deal soll mit Libyen laut Medien geschlossen werden. Doch wenn wir weiter recherchieren, ist deren Schicksal längst besiegelt. Neue Lager wurden bereits in Libyen errichtet, unweit der Gegend, in der bereits die Terrorgruppe IS wütet.
Um die prekäre Lage in den Griff zu bekommen, erhielt Libyen im April 2016 eine Finanzhilfe aus Deutschland von zehn Millionen Euro > siehe: Unterstützt die EU mit Millionen Euro den Terrorismus in Libyen, um Flüchtlinge zu verhindern nach Europa zu gelangen? Gerettete Flüchtlinge sterben in Libyen an Misshandlungen
In El-Arisch in Ägypten gibt es ein Massengrab von toten Flüchtlingen. Die meisten stammten aus dem Sudan und Eritrea und seien in den Händen der Schlepper und Entführer gestorben, an Folter, an Hunger, Durst oder Krankheit, oder weil man ihnen Organe entnommen habe. Seit 2 Jahren ist der IS auf dem Sinai.
Wie gelangen die Flüchtlinge aus Afrika nach Europa?
In Bengasi sind die IS – also werden die Flüchtlinge über Tunesien versuchen, nach Italien zu gelangen. Eine weitere Option bleibt Marokko und somit Spanien. Auch über Ägypten machen sich Flüchtlinge auf den Weg nach Griechenland oder Italien. Dieses schrieben wir bereits in unserem Beitrag 2015: Nordafrika versinkt im Krieg – Leichen säumen Libyens Küste
Alexandria ist zum wichtigsten Abfahrtshafen für Flüchtlinge und Migranten am Nil geworden.
Die Stadt sei heute der Hauptumschlagsplatz für in Ägypten lebende Menschen, die nach Europa weiterreisen wollen, sagt Mohamed Kashef von der Menschenrechtsorganisation „Egyptian Initiative for Personal Rights“ (EIPR). Allein in Alexandria lebten Ende 2014 rund 90 000 Syrer, schätzt Mohamed. Inzwischen habe etwa die Hälfte davon Ägypten in Richtung Libyen oder direkt nach Europa verlassen. Ende 2015 waren es bereits etwa 140 000 Syrer, die in Ägypten auf ihre Überfahrt warten. Ägypten gehört zu den Staaten, die die größte Zahl an syrischen Flüchtlingen aufnimmt. Doch Ägypten ist für die meisten von ihnen nur eine Übergangsstation. Seit das Nachbarland Libyen im Bürgerkrieg versinkt, ist die Hafenstadt Alexandria der Startpunkt für Überfahrten nach Europa geworden. Wer es von hier aus per Boot bis nach Italien schaffen will, braucht je nach Wetter fünf bis zehn Tage. Die Bundesregierung möchte hier sogenannte „Hot Spots“ einrichten. Dabei sind Syrer in Ägypten alles andere als willkommen. Auch deshalb wollen die meisten einfach nur weg. Auch darüber berichteten wir bereits in unserem Beitrag: Nordafrika versinkt im Krieg – Leichen säumen Libyens Küste.
Von Ägypten aus versuchen Menschen, übers Meer nach Europa zu kommen. Mitte September 2014 ertranken 500 Flüchtlinge, als ein Boot eines Schleppers ein anderes Boot rammte. Das Unglück geschah vor der Hafenstadt Damietta in Ägypten auf dem Weg nach Malta.
Entscheiden sich die Flüchtlinge, über Ägypten nach Italien zu kommen, wartet auf sie eine weitere menschliche Grausamkeit. Hier gibt es eine „Bande“, die Flüchtlinge und Migranten als „Ersatzteillager“ nutzt.
Erst Anfang April 2016 wurde bekannt, dass neun Somalier ins ägyptische Meer geworfen wurden, nachdem sie entführt und ihre Organe von Menschenhändler entfernt worden waren. Unter den Toten waren eine Mutter und zwei kleine Kinder. Sie wurden in der Nähe von Alexandra gefunden. Bis vor kurzem verbot das ägyptische Recht, Organspenden von Verstorbenen zu verwenden, sodass Organspenden nur von den Lebenden genommen werden dürfen. Dies führte zu einem grausamen System und das Problem hat sich noch verschärft.
Ein Bericht von Organ-Failure Solutions (COFS), eine gemeinnützige internationale Gesundheits- und Menschenrechtsorganisation, zeigt auf, dass Menschenhändler in dem nordafrikanischen Land zunehmend auf Afrikaner abzielen, vor allem Flüchtlinge und andere Migranten. COFS schätzt, dass wahrscheinlich Hunderte von sudanesischen sowie zahlreiche andere Flüchtlinge aus Jordanien, Eritrea, Äthiopien, Somalia, Irak und Syrien den Menschenhändlern zum Opfer gefallen sind. COFS schätzt die Gesamtzahl der Opfer des Organhandels in Ägypten über Tausende.
Wir hatten bereits über den Organhandel berichtet: Organhandel – Flüchtlinge als billige Ersatzteillager
Immer wieder sterben Menschen, die von Ägypten übers Mittelmeer nach Europa gelangen wollen. Wie viele es sind, weiß keiner, denn werden diese Flüchtlinge schon vorher von den Behörden aufgegriffen, werden sie verhaftet und kommen ins Gefängnis. Genauso wie diese jungen Menschen, die die gestrige Tragödie überlebt haben.
Diese jungen Flüchtlinge liegen in einer Polizeistation auf dem Boden, wo sie festgehalten werden. Sie wurden gerettet, nachdem ihr Boot, auf dem über 600 Menschen gepfercht waren, gekentert war. Sie sind erschöpft und schlafen.
Fazit: Wir stehen erst ganz am Anfang der Flüchtlingskrise. Denn während unserer Recherche haben wir bereits viele Tausende Menschen gesehen, die sich aufmachen nach Europa. Wir mussten aber auch feststellen, dass Europa das bekommt, was es selbst teilweise mit verursacht hat. Denn es hat diese Länder mit Waffen versorgt, Diktatoren unterstützt und erpresst die Länder wirtschaftlich, indem es sie mit westlichen Konsumgütern zu Dumpingpreisen überschwemmt und so die heimische Wirtschaft zum Erliegen bringt. Die westliche Welt steht für das Symbol „der drei Affen“: Nichts sehen, nichts hören und nichts sagen.
Schaffen die afrikanischen Flüchtlinge den grausamen Weg durch die Wüste bis nach Libyen und Ägypten, erwartet sie dort eine weitere unmenschliche Situation.
Shame on the World!
Migrant boat carrying 600 capsizes off Egypt coast killing at least 29: local officials
CAIRO, Sept 21 (Aswat Masriya) – The bodies of 29 people were recovered from the Mediterranean Sea after a boat capsized off the coast of Egypt, health ministry spokesperson said on Wednesday.
The corpses were pulled from the water near Egypt’s coastal city of Kafr El Sheikh, about 134 km north of Cairo. According to news reports, rescue workers have saved over 100 people so far.
The boat was carrying around 600 people, which represented „the largest illegal migration operation through the Kafr El-Sheikh coasts so far,“ state news agency MENA quoted a local official as saying. It was carrying Egyptian, Syrian and African migrants, security sources told the Reuters news agency.
They are believed to have been heading to Italy, a main destination for illegal migrants across the Mediterranean.
Egyptian authorities have announced thwarting several illegal migration attempts in the past few months, as hundreds have been arrested for attempting to exit the country irregularly. Earlier in September, Egypt foiled an illegal migration attempt to Europe by 155 people.
Illegal migration to Europe has largely increased in recent years, as conflicts and dire economic conditions in the Middle East and African countries pushed millions of migrants and refugees to cross over to Europe to flee poverty and war.
The incident took place few hours after world leaders met for the Leaders‘ Summit on Refugees, which saw US President Barack Obama call the refugee crisis as „one of the urgent tests of our time“.
Netzfrauen Lisa Natterer und Doro Schreier
Die Welt will von Afrika vor allem Rohstoffe – „Neue koloniale Invasion“ – British companies are at the forefront of a new “scramble for Africa” – New colonial invasion
Wären die Flüchtlinge eine Bank, hätte sie der Friedensnobelpreisträger längst gerettet
Organhandel – Flüchtlinge als billige Ersatzteillager
Gewusst? Zuwara in Libyen ist die größte Schlepperhochburg – Hier sterben jeden Tag Menschen
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