Der Trend der steigenden krankheitsbedingten Fehlzeiten setzt sich fort. Um dem entgegenzuwirken, kommt von dem großen Autokonzern Daimler ein Pilotprojekt: „Anwesenheitsbonus“. Daimler will 300 Euro zahlen für Mitarbeiter, die nicht krank feiern. Mobbing gegen Kranke, immer wieder versuchen Unternehmen, zu fragwürdigen Mitteln zu greifen, um die Fehlzeiten in den Betrieben zu reduzieren. In den letzten Jahren haben sich zum Beispiel die Krankenrückkehrgespräche durchgesetzt, die den Arbeitnehmer gezielt unter Druck setzten sollen.
Bei uns zählt der Mensch, heißt es in so manchen Leitbildern eines Unternehmens, doch schaut man hinter die Fassaden eines Unternehmens, ist nicht der Arbeitnehmer gemeint, sondern der Kunde. Und damit der Kunde zufrieden ist, leidet der Mensch, sofern es sich um einen Mitarbeiter handelt. Da der Mitarbeiter ein Mensch ist und kein Roboter, ist es durchaus möglich, dass dieser krank wird. Und wird der Mensch krank, dann kann es vorkommen, dass dieser kranke Mensch bestraft wird, oder er geht trotz Krankheit zur Arbeit und wird mit einer Prämie belohnt.
Schon in dem Lied von Geier Sturzflug hieß es vor über 30 Jahren in der zweiten Strophe:
„Die Krankenschwester kriegt ’nen Riesenschreck:
Schon wieder ist ein Kranker weg.
Sie amputierten ihm sein letztes Bein
Und jetzt kniet er sich wieder mächtig rein.
Ja, jetzt wird wieder in die Hände gespuckt,
Wir steigern das Bruttosozialprodukt
Ja, ja, ja, jetzt wird wieder in die Hände gespuckt
Wir steigern das Bruttosozialprodukt“
Bereits 2009 geriet Daimler in die Kritik und zwar mit dem Werk in Bremen. Vorgesetzte wollten den Krankenstand senken. Dafür gab es bei Mercedes in Bremen in manchen Abteilungen einen besonderen Anreiz. Fiel der Krankenstand unter eine bestimmte Grenze und wurden weitere Vorgaben erreicht, bekam der Vorgesetzte mehr Geld. Wohl auch deswegen gab es im Bremer Werk solche Statistiken. Von Rücken- bis zu Knieproblemen – Krankheiten der Mitarbeiter aufgelistet. Ein Verstoß gegen den Datenschutz. Darüber berichtete Panorama in der Sendung vom 07. Mai 2009. . Die Daimler-Pressestelle räumte später auf Nachfrage ein. „Ja, es gibt einen Leitfaden für Führungskräfte in Bremen, in dem Krankenbesuche thematisiert sind“, und es gebe auch „unangemeldete Krankenbesuche.“ Auch im baden-württembergischen Untertürkheim hat Daimler Kranken jahrelang Stress gemacht. Krankendaten wurden systematisch erfasst und in großen Runden diskutiert.
Doch Daimler ist kein Einzelfall. Immer wieder liest man von „Mobbing“ gegen Kranke im Unternehmen – ob durch Strafversetzungen, Lohnkürzungen oder Kündigungen.
Das Jahr 2009 könnte als das Jahr der Spitzelskandale in die Geschichte eingehen, ob bei EDEKA, LIDL, der Telekom oder sogar bei der Bahn. Die Bahn flog auf, nachdem bekannt geworden war, dass der Konzern mit dubiosen Spitzel-Aktionen 173.000 Mitarbeiter beschatten ließ. Nicht alles ist erlaubt, doch war Ihnen bekannt, dass der Arbeitgeber in der Tat einen Detektiv beauftragen darf?
Überwachung erkrankter Mitarbeiter durch Detektive ist erlaubt
Viele Arbeitnehmer sind verunsichert und trauen sich sogar bei Erkrankungen aus Angst vor Konsequenzen nicht, im Bett zu bleiben. Abhörskandale oder Detektiveinsätze – in Deutschland sorgen Mitarbeiter-Bespitzelungen immer wieder für große Aufregung. 2009 sorgte ein Spitzelskandal bei EDEKA für Schlagzeilen, als bekannt wurde, dass die zu Edeka gehörende Supermarktkette Simmel krank geschriebenen Mitarbeitern Hausbesuche abstattete. Gerade in den letzten Jahren häufen sich aber Skandale rund um das Thema Mitarbeiterkontrolle. Immer mehr Angestellte gehen an die Öffentlichkeit und berichten über Bespitzelungen durch Ihre Arbeitgeber.
Nur bei einem auf Tatsachen beruhenden, konkreten Verdacht einer schweren Pflichtverletzung dürften Arbeitgeber Detektive zur Kontrolle von Mitarbeitern einsetzen, urteilte das Bundesarbeitsgericht (BAG, Az.: 8 AZR 1007/13). Derartige Pflichtverletzungen könnten das Vortäuschen einer Krankheit sein.
Im konkreten Fall erklärte das Gericht die Beschattung einer Arbeitnehmerin aus Münster für rechtswidrig. Die Sekretärin war nach einer Krankschreibung im Auftrag ihres Chefs mehrere Tage lang von einem Detektiv überwacht worden. Dieser hatte die Frau im Februar 2012 sogar mit einer Videokamera gefilmt. Vor dem Auftrag an den Detektiv habe es jedoch keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass sie ihre Krankheit vortäusche, hieß es. Dennoch scheiterte die Klägerin mit ihrer vollständigen Forderung nach einem Schmerzensgeld von 10 500 Euro. Das Landesarbeitsgericht Hamm sprach ihr nur 1000 Euro zu. Das BAG hielt diese Summe ebenfalls für angemessen – auch wenn der Betrag „am unteren Rand“ gewesen sein mochte, wie der Vorsitzende Richter sagte. Der Anwalt der Klägerin hatte argumentiert, dass nur mit einem deutlich höheren Sanktionsgeld Arbeitgeber von solchen Rechtsverstößen abgehalten werden könnten. Quelle > deutsche-handwerks-zeitung.de/
300 Euro für jeden, der keinen Fehltag bei der Arbeit hat – sich also ein Jahr lang nie krank meldet: Der Daimler-Konzern prüft die Einführung eines „Anwesenheitsbonus“.
Wie jetzt bekannt wurde, hat Daimler an drei Standorten, darunter in der Zentrale in Stuttgart-Untertürkheim, die Gesundheitsprämie in einem Pilotprojekt bereits ausprobiert. Aber kann sie dazu führen, dass man sich selbst unter Druck setzt und zur Arbeit kommt, auch wenn man angeschlagen ist?
Zu Spekulationen äußere man sich nicht, sagt Daimler in einem Beitrag von SWR. Noch ist der konzernweite Gesundheitsbonus, über den die Presse berichtet, nicht spruchreif. Die Verhandlungen über eine entsprechende Betriebsvereinbarung zwischen Betriebsrat und Unternehmen laufen noch. In Bremen, Kassel und in der Daimler-Zentrale in Stuttgart lief das Pilotprojekt „Anwesenheitsbonus“ von Oktober 2013 bis September 2015.
Nach Recherchen der Stuttgarter Zeitung sollen sich Mitarbeiter in der Versuchsphase wegen dieser Gesundheitsprämie krank zur Arbeit geschleppt haben. Angeblich gab es auch Fälle, in denen kranke Daimler-Beschäftige offiziell Überstunden abgefeiert haben. Damit stellt sich die Frage, ob Krankheiten durch ein solches Anreizsystem nicht verschleppt werden und am Ende die Daimler-Mitarbeiter Monate oder Jahre später gesundheitlich die Quittung dafür kassieren, dass sie keine Ruhephasen mehr haben. Es könnte sogar sein, dass Arbeitnehmer schlimmstenfalls sogar den Anspruch auf Entgelt-Fortzahlung verlieren, wenn sie Erkrankungen ignorieren und dadurch selbstverschuldet immer kränker werden.
Außerdem dürfen Schwerbehinderte oder Menschen mit einer chronischen Erkrankung, die unter Umständen deshalb bereits mehr Fehltage haben als andere, nicht diskriminiert werden durch einen solchen Gesundheits- oder Anwesenheitsbonus, so der Bericht vom SWR weiter.
Wenn Arbeit krank macht!
Immer wieder belegen Studien, dass Krankheitstage Folge der vielen Arbeit sind.. Auch die aktuelle pronova-BKK-Studie „Betriebliches Gesundheitsmanagement 2016“ kommt zu dem Fazit: Zu viel Stress, zu wenig Erholung: Deutsche Arbeitnehmer sind am Limit. Laut Studie wirkt sich der Stress auf der Arbeit bei vielen Arbeitnehmern körperlich aus. Mehr als zwei Drittel klagen beispielsweise über Verspannungen im Nacken (67 Prozent). Unter Rückenschmerzen leidet mit 63 Prozent ebenfalls die Mehrheit der Arbeitnehmer. Von Schmerzen in Schultern, Armen oder Händen berichtet jeder Zweite (51 Prozent).
Schon seit Jahrzehnten setzt sich der Trend fort: Immer weniger müssen immer mehr machen. Dies führt unweigerlich zu einem erhöhten Druck, der wiederum zu mehr Fehlzeiten führt. 40 Prozent der Frühverrentungen werden auf Grund von psychischen Erkrankungen vorgenommen, dies zeigte eine Statistik der Deutschen Rentenversicherung. Das bedeutet: Ist der Mitarbeiter nicht mehr leistungsfähig, weist also enorme Fehlzeiten auf, wird er aussortiert.
Gesündere Arbeitnehmer sind nicht nur für die Betriebe vorteilhaft, sondern auch für die Volkswirtschaft. Im Jahr 2012 wurden die Kosten u. a. auf Grund von Arbeitsunfähigkeiten, vorzeitigen Berentungen und Wiedereingliederungsmaßnahmen auf mehr als 110 Milliarden Euro geschätzt. Dieser Belastung der Sozialkassen kann durch vorbeugende Maßnahmen entgegengewirkt werden, aber nicht dadurch, dass ein Konzern wie Daimler mit einem Anwesenheitsbonus lockt. Es mag sich für den Konzern auszahlen, denn immerhin ist ein Mensch – pardon ein Arbeitnehmer – ein Kostenfaktor für jeden Betrieb. Ist dieser Arbeitnehmer krank, müssen entweder andere Mitarbeiter einspringen oder die Arbeit des kranken Mitarbeiters bleibt liegen, welches wieder einen finanziellen Schaden für den Konzern verursacht.
Die Studie Betriebliches Gesundheitsmanagement 2016 bestätigt:
Deutschlands Arbeitnehmer brennen aus:
86 Prozent der Bundesbürger leiden unter Stressfaktoren am Arbeitsplatz. Besonders zu schaffen machen den Befragten ständiger Termindruck (38 Prozent), ein schlechtes Arbeitsklima (37 Prozent) und emotionaler Stress (36 Prozent). Überstunden stellen für jeden dritten Arbeitnehmer eine große Belastung dar. Drei von zehn Befragten beklagen eine ständige Erreichbarkeit oder Rufbereitschaft auch nach Feierabend.
Besonders gefährdet sind junge Arbeitnehmer im Alter von 18 bis 39 Jahren. In diesen Altersgruppen fühlen sich 91 Prozent vom Job stark belastet .“Diese junge Generationen sind von der Flexibilisierung und Digitalisierung der Arbeitswelt besonders stark betroffen“, sagt Dr. Gerd Herold, Arbeitsmediziner der pronova-BKK. „Gleichzeitig ist der Job für sie besonders identitätsstiftend, sodass sie vollen Einsatz bringen wollen und dabei die eigenen Belastungsgrenzen häufig zu spät erkennen“, erklärt der Experte.
Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz anstatt Förderungen von Krankheit führt auf lange Sicht zu geringeren krankheitsbedingten Kosten und mehr Lebensqualität für den Einzelnen.
Bei uns zählt der Mensch, heißt es in so manchen Leitbildern eines Unternehmens. Dann sollten die Unternehmen auch danach handeln. Dazu gehört nicht Leistung, die Leiden schafft.
Netzfrau Doro Schreier
Konzerne – Vernetzung der einzelnen Aufsichtsräte – man kennt sich!
Arm trotz Arbeit – Wenn der Lohn nicht mehr zum Leben reicht
Glückwunsch: Deutschland – Weltmeister im Lohndumping
Gleiche Arbeit – weniger Geld – Peter Hartz und seine Reform
Lohndumping, Zeitarbeitsfirmen – Arm durch Arbeit