Seit Dezember 2016 protestieren Arbeiter_innen in Bangladesch. Begonnen hatte der Protest gegen Hungerlöhne in einer der 350 Textilfirmen von Ashulia. Die Gewerkschaft verteilte Flugblätter, in denen eine Verdreifachung des bisherigen Lohnes gefordert wurde. Derzeit bekommen die Näherinnen 5300 Taka. Das entspricht etwa 63 Euro. Im Monat wohlgemerkt. Der Funke des Widerstands sprang rasch über auf die anderen Betriebe und mündete in einem von Demonstrationen begleiteten Streik.
Die Reaktionen von Staat und Unternehmen waren diesmal besonders drastisch und brutal. Die Polizei feuerte Gummigeschosse auf die Menge und nahm 30 Streikende fest, darunter sieben Gewerkschaftsfunktionäre.
Ein Fernsehreporter, der über die Ereignisse berichtete, wurde ebenfalls verhaftet. Die Arbeitgeber verhängten Aussperrungen und Kündigungen. Nach offiziellen Angaben wurden 1500 Textilarbeiter in Ashulia entlassen.
Gewerkschaftsvertreter schätzen die Zahl der Entlassungen dagegen auf 3500. Eine Woche lang mussten 55 Textilfabriken in Bangladesch wegen des Streiks der Näherinnen schließen. Die Firmen, die Leute wegen ihrer Beteiligung an dem Arbeitskampf entlassen haben, hängten Namen und Fotos der Betroffenen an die Werkstore, um sie öffentlich anzuprangern. Laut Augenzeugenberichten soll den Entlassenen damit klar gemacht werden, dass ihnen die Rückkehr an ihren Arbeitsplatz verwehrt ist.
Viele von ihnen stehen auf der „schwarzen Liste“ und finden so keine Jobs mehr in der Bekleidungsindustrie
Sklaverei hat viele Gesichter
Der Einsturz der Fabrik Rana Plaza in Bangladesch, bei dem über 1130 Menschen ihr Leben verloren und mehr als 2000 teilweise schwerst verletzt wurden, scheint vergessen zu sein. Fast 4 Jahre ist es her. Es folgten viele Versprechungen durch westliche Firmen. Doch die Situation ist immer noch grauenhaft. Bangladesch hat über 5000 Fabriken, die über fünf Millionen Menschen beschäftigen. Und Bangladesch hat eine Geschichte von schrecklichen Praktiken einschließlich Unterdrückung und Ausbeutung durch niedrige Löhne.
Ausbeuterische Geschäftsmodelle, untätige Behörden, mangelnder Brandschutz, die Korruption lokaler Eliten, die Praktiken internationaler Textildiscounter, Beteuerungen – für verbesserte Arbeitsbedingungen zu sorgen und dann von den Zulieferern weitere Rabatte verlangen.
Bangladesch ist nach China weltweit zweitgrößter Produzent von Textilien. Das Zentrum der Produktion befindet sich in Dhaka. Zu Tiefstlöhnen werden Textilien für den Weltmarkt hergestellt. Nach all den Unglücksfällen mit Tausenden Toten scheint sich nichts geändert zu haben.
In unserer Gesellschaft geht es darum, möglichst viel Kleidung zu besitzen, um jedem Trend folgen zu können. Diese Massen an Textilien müssen allerdings irgendwo produziert werden – Dort, wo die Produktion am günstigsten ist. Die günstige Herstellung geht jedoch oft auf Kosten der dort arbeitenden Menschen.
Im Zuge eines umfassenden Strukturwandels sind große Teile der textilverarbeitenden Industrie in den letzten Jahren in Niedriglohnländer abgewandert. Auch wenn mit Adidas, Puma und Hugo Boss einige der führenden Modemarken der Welt ihren Sitz in Deutschland haben, ist die Fertigungsstufe weitgehend ausgelagert. Heute importiert Deutschland mehr Textilien und Bekleidung, als es exportiert. Die wichtigsten Herkunftsländer liegen dabei im asiatischen Raum. China, Vietnam und Bangladesch nehmen hier prominente Positionen ein.
Die Einkäufer der internationalen Bekleidungsfirmen, wozu auch die Schuhproduktion gehört, sind wie Nomaden, die es immer dorthin zieht, wo besonders günstig eingekauft werden kann. Vor allem im Billigsegment zählt fast nur der Preis. Internationale Textil- und Bekleidungshersteller wissen das und versuchen deshalb, auch ihrerseits immer neue und noch billigere Standorte ausfindig zu machen.
Wie viel Macht die Textilgiganten haben, zeigt der Fall aus Indonesien:
Hersteller vor Abwanderung in „Billiglohnländer“
Indonesiens Hersteller von Textilien, Bekleidung und Schuhen bilden eine der größten Branchen des verarbeitenden Gewerbes. Nach Angaben des Industrieministeriums beschäftigten sie 2012 zusammen rund 1,5 Mio. Mitarbeiter. Insgesamt gab es 2011 fast 2900 Branchenbetriebe. Indonesien nahm 2012 die Position als weltweit zehntgrößter Textilexporteur ein, wozu auch Schuhe gehören. So sollen die Ausfuhren von Textilien und Bekleidung 2013 in Indonesien weiter rückläufig gewesen sein. Bei Schuhen verzeichnete hingegen die Indonesian Footwear Association eine Zunahme von mehr als 10%.
Nachdem die Mindestlöhne in Indonesien angehoben werden sollten, drohten laut Angaben der Indonesian Footwear Association gleich 46 ausländische in Indonesien produzierende Schuhhersteller, ihre Fertigungsschritte in andere Länder mit geringeren Lohnkosten wie Myanmar oder Vietnam zu verlagern. Sie klagen unter anderem über zunehmende Arbeitskämpfe und „komplett überzogene Lohnforderungen von Seiten der Gewerkschaften“. Ähnlich sah die Lage auch in der Textil- und Bekleidungssparte aus.
Folge: Der Gouverneur von Jakarta beispielsweise erhöhte die gesetzlichen Mindestlöhne zum 1. 1. 2014 nur um 10% im Vergleich zum Vorjahr, auch andere Provinzen folgten dem Vorbild der Hauptstadt. Die meisten Bekleidungs-, Textil- und Schuhhersteller wollen nach Angaben von Branchenkennern dem Land nicht den Rücken kehren, zumal außerhalb der Hauptstadt die Löhne immer noch auf einem sehr niedrigen Niveau liegen. Es dürfte vielmehr zu Wanderungsbewegungen innerhalb des Archipels kommen. Viele der noch in Jakarta produzierenden Fabriken werden in den nächsten Jahren in die angrenzenden Provinzen West- und Mitteljava umziehen, denn dort geht es immer noch billiger. Konkurrenz zu Indonesien bleiben Billiglohnländer wie Myanmar oder Bangladesch.
Myanmar möchte nach jahrzehntelanger isolierter Militärdiktatur das neue Bangladesch werden. Wöchentlich eröffnen Textilfabriken, auch deutsche Unternehmen wittern ihre Chance. Siehe: Was haben Erdogan, Indonesien, Äthiopien, Monsanto und H&M mit Ihren Schuhen gemeinsam?
Willkürliche Verhaftungen von Gewerkschafter*innen während eines Streiks in Bangladesch
Die Kampagne für Saubere Kleidung sorgt sich um die Sicherheit von Gewerkschafter*innen und Arbeiter*innen in Bangladesch. Einige von ihnen waren scheinbar willkürlich festgenommen worden, während sich Tausende Arbeiter*innen in Ashulia, einer Gegend in Dhaka, an einem Streik für höhere Löhne beteiligt hatten. Der Streik begann am 12. Dezember in der Windy Apparels Fabrik, die erst vor kurzem in den Nachrichten in Verbindung mit dem Tod einer Angestellten im Oktober erwähnt wurde.
Die Fabrik produziert Kleidung für mehrere Markenunternehmen, darunter H&M, Inditex (dem die Marke Zara gehört), Esprit, Tesco, Arcadia, s.Oliver und Debenhams. Innerhalb kürzester Zeit nahmen auch umliegende Fabriken an dem Streik teil. Am 20. Dezember 2016 wurden 59 Fabriken geschlossen.
Die Arbeiter*innen fordern die Zahlung eines Mindestlohns von 15.000 BDT/Monat (182 EUR).
Nach dem Fabrikeinsturz von Rana Plaza wurde der Mindestlohn auf nur 5300 BDT angehoben. Es ist unklar, wie der Streik genau begonnen hatte, jedoch ist es kein koordinierter Streik und keiner der Gewerkschaftsverbände hat ihn bisher öffentlich befürwortet. Bei einigen Pressekonferenzen haben Gewerkschafter*innen sogar Arbeiter*innen dazu aufgerufen, ihre Arbeit wieder aufzunehmen, obwohl ihre Forderungen von der Regierung und den Arbeitgebern ernst genommen werden sollen.
Die Regierung nutzt diesen Streik, um gegen Gewerkschaftsführer vorzugehen. Am 21. Dezember wurden sieben Gewerkschafter nach einem Treffen mit der Industrie von der örtlichen Polizei festgenommen. Am 26. Dezember sollten sie dem Richter vorgeführt werden. Es wird vermutet, dass sie unter Berufung auf den Special Powers 1974 Act festgenommen wurden. Dieses Gesetz, bekannt als eines der “Schwarzen Gesetze”, ermöglicht der Regierung von Bangladesch, Menschen festzunehmen und sie präventiv in Haft zu halten. Am 22. Dezember wurden zwei weitere Gewerkschafter aus Gazipur um 23:15 Uhr von einer Spezialeinheit der Polizei festgenommen. Die zwei hatten gerade ein Treffen mit ArbeiterInnen abgeschlossen und haben bisher berichtet, dass sie zu dem Streik befragt wurden. Gefragt wurden die Festgenommenen auch, ob sich der Streik bis nach Gazipur ausweiten könnte.
Bisher gab es noch keine Anhörung vor Gericht. Eine weitere Gewerkschafterin, Moshrefa Mishu, wurde am 22. Dezember festgenommen, als sie an einer Pressekonferenz teilnehmen wollte. Die Polizei erklärte später bei ihrer Freilassung, dass sie sie lediglich auf eine Tasse Tee hatten einladen wollen. Einige der Fabriken wie Windy Apparels haben ebenfalls gegen Hunderte Arbeiter*innen Anzeige erstattet.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Regierung von Bangladesch Unruhen und Streiks als Vorwand nimmt, um gegen Gewerkschafter*innen vorzugehen. Bei Streiks im Jahr 2010, in denen eine Erhöhung des Mindestlohns gefordert wurde, waren einige Gewerkschafter*innen verhaftet und inhaftiert worden: Alle haben physische und psychische Gewalt während ihrer Haft erlitten. Einer der Verhafteten, Aminul Islam, wurde nur 18 Monate später brutal ermordet. Die Verantwortlichen wurden nie gefunden und es bestehen Zweifel, ob Sicherheitskräfte in seinen Mord verwickelt waren.
Die Kampagne für Saubere Kleidung verurteilt die Verfolgung von Gewerkschafter*innen und Arbeiter*innen. Arbeiter*innen muss es möglich sein, gegen Hungerlöhne und schlechte Arbeitsbedingungen zu protestieren. Wir rufen die Regierung von Bangladesch dazu auf, die Unterdrückung zu beenden und sicherzustellen, dass die Verhafteten freigelassen werden oder ihnen Zugang zu rechtlicher Verteidigung gewährt wird. Die willkürliche Anklage gegen Hunderte Arbeiter*innen muss fallen gelassen werden. Unternehmen, die Kleidung aus Bangladesch beziehen, sollten sich diesen Forderungen an die Regierung anschließen und sicherstellen, dass ihre Zulieferer sich nicht an der Unterdrückung von Arbeiter*innen und Gewerkschafter*innen beteiligen, die ihr legitimes Recht auf Versammlung und Kollektivverhandlungen ausüben. Wir rufen die Regierung, Arbeitgeber und Unternehmen dazu auf, weiteren Unruhen vorzubeugen, in dem sie in Dialog mit Arbeiter*innen treten und ihren Forderungen, wie eine Erhöhung des aktuellen Mindestlohns, nachkommen.
Seit Dezember protestieren Arbeiter_innen in Bangladesch für die Anhebung des Mindestlohns. Die Streikenden organisierten friedvolle Märsche. Doch statt Zugeständnisse zu machen, erstatteten die Fabrikbesitzer Strafanzeige gegen Gewerkschafter_innen und Arbeiter_innen. Mindestens 24 Aktivist_innen und Arbeiter_innen wurden festgenommen. Eine Freilassung auf Kaution wurde abgelehnt.
Einigen ist mit Folter oder dem Tod gedroht worden. Gewerkschaftsbüros werden von der Geheimpolizei überwacht. Anschuldigungen richten sich auch gegen Hunderte „unbenannter“ Arbeiter_innen, eine sogenannte schwarze Liste zirkuliert.
Die Kampagne für Saubere Kleidung fordert alle Unternehmen auf, die bei diesen Fabriken einkaufen, sich für eine Freilassung der Inhaftierten stark zu machen! Die Petition des International Labour Rights Forum richtet sich an H&M, Gap, C&A, Inditex (u.a. Zara und Bershka) und VF (dazu zählen 30 Marken wie North Face und Lee).
Unterschreiben Sie unter https://actionnetwork.org/petitions/brands-respect-basic-rights
Mehr Informationen ein unseren Partnern: saubere-kleidung und ci-romero
Free Jailed Labor Activists – H&M, Gap, C&A, Inditex (Zara) & VF (North Face)
Sign This Petition
https://actionnetwork.org/petitions/brands-respect-basic-rights
The minimum wage in Bangladesh’s garment industry is equal to just US$67 a month. This wage has been fixed since 2013 and is not due to be reviewed for at least another year. Meanwhile the cost of living has increased dramatically: over 6% per year since 2013. Workers who already couldn’t cover basic expenses on these low wages are now struggling even harder to survive.
In December, with no other route for raising their frustrations and demands, workers at dozens of factories held peaceful walk-outs and demonstrations for a higher wage. Instead of agreeing to pay a living wage, or even to bring forward a wage review, factory owners brought unsubstantiated criminal charges against at dozens of labor leaders and garment workers. At least 24 activists and workershave already been arrested and are being held in police custody where they have been denied bail. Some have received threats of torture or death. Many are being charged under a section of law that has already been removed from the statutes. These charges also include hundreds of „unnamed“ workers, allowing factory owners to simply add workers they see as troublemakers to the list whenever they wish. Over 1500 workers have been reportedly dismissed from their jobs and potentially blacklisted from future garment work.
Please sign the petition to call on brands whose clothes are made at the factories behind the complaints to take immediate action for the dismissal of the falsified charges and the release of the jailed activists and workers! This petition will be delivered to H&M, Gap Inc (owns Banana Republic and Old Navy), C&A, Inditex (owns Zara and Bershka), and VF (owns 30 brands including North Face, Jansport, and Lee), which source from the factories pressing the charges.
Get to know the worker leaders currently in jail at laborrights.org/meettheworkers.
Netzfrau Doro Schreier
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