Die Aushöhlung der Demokratie – hatten wir das nicht alles schon einmal?

Freiheitsstrafen wegen Demonstrierens und dies mitten in Europa? In vielen Ländern Europas gehen Menschen auf die Straße und demonstrieren. Doch was wäre, wenn ein europäisches Land Demonstrationen in Zukunft untersagt? Ziehen dann die anderen europäischen Länder nach? In Rumänien demonstrieren seit Tagen Hunderttausende friedlich gegen die Regierung. Am Samstag demonstrierten Zehntausende in London gegen Trump  und auch gegen die eigene Regierung. In Spanien demonstrierten Tausende für eine Unabhängigkeit von Katalonien und auch in Portugal gab es Demonstrationen, hier u. a. von Studenten.

Und sogar John F. Kennedy soll gesagt haben: „Durch jene, die die friedliche Revolution unmöglich machen, wird gewalttätige Revolution unausweichlich.“ Vielleicht ist dieses Zitat dem Innenminister aus Österreich entgangen, denn der Innenminister Wolfgang Sobotka will ein Demo-Verbot erlassen.. Ja, Sie lesen richtig. Genau das bringt die Österreicher auf die Palme und für heute sind schon Demonstrationen geplant, die den sofortigen Rücktritt von Wolfgang Sobotka verlangen.

Ein Bild ging im Oktober 2015 um die Welt, nachdem 150 000 Menschen in Wien ein Zeichen der Menschlichkeit setzten. 2013 gab es sogar eine Großdemo von 30 000 Beamten. Mit Bussen und Sonderzügen kamen Beamte aus ganz Österreich nach Wien. Alle Demonstrationen waren friedlich und auch die Österreicher waren stolz über so viel Zusammenhalt.

Selbst Amnesty Austria schaltet sich ein.

Kommt es bei einer Versammlung zu mehreren gerichtlich strafbaren Handlungen oder zu einer mit mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe bedrohten strafbaren Handlung, kann der Leiter – oder eben jene Person, die die Route vorgibt – bei schuldhaftem Verhalten mit bis zu 10 000 Euro pönalisiert werden.

Sobotka will per Verordnung Plätze demo-arm halten, Spaßkundgebungen aus dem Versammlungsrecht ausklammern, Versammlungen an bestimmten Plätzen verbieten, wenn sie nachhaltige Auswirkungen auf den Geschäftsbetrieb dort etablierter Gewerbebetriebe und den Personenverkehr haben sowie auch für Lärmbelästigung von Anrainern sorgen … laut Sobotka ist das alles „selbstverständlich verfassungskonform“, so der Bericht in der ORF.

Ungeliebter Innenminister: Öffentlicher Raum heißt so, weil er der Öffentlichkeit gehört. Nicht den Geschäftsleuten, auch nicht den Mietern der angrenzenden Häuser – und ganz sicher gehört er nicht Ihnen, dass sie subjektiv über seine selektive Nutzung entscheiden könnten. Wer wie Sie in unablässiger Folge immer neue Angriffe auf die Verfassung und Bürgerrechte, ja sogar die Menschenrechte unternimmt, hat nichts in einer staatstragenden Funktion verloren, geschweige denn im „Job“ eines Innenministers, der die Verfassung schützen soll, anstelle sie beständig zu untergraben. Treten Sie endlich zurück.

Dass die ehem. VP Bezirksvorsteherin der Innenstadt diese „Kapitalismus First“-Ideologie schon 2014 mit angestoßen hat, sei noch ergänzend erwähnt, und dass sie zwischenzeitlich zur FP wechselte. Das ist bezeichnend für die gesamte antidemokratische Interessensrunde, die hier geradezu volksfeindliche Ziele durchzusetzen versucht.

Ein Demonstrationsverbot hielte sie „wenn es möglich ist, für gut und nützlich“. Allerdings müsse man natürlich eine Variante finden, die „im Einklang mit der Demonstrations- und Meinungsäußerungsfreiheit“ steht. Sie verstehe jedoch den Wunsch der Wirtschaftstreibenden, Demos möglichst aus der inneren Stadt zu verbannen. Dieser Eindruck hat sich im Zuge der Ausschreitungen um den Akademikerball noch verstärkt“, so Stenzel am Montag nach dem Akademikerball, wobei es heuer keinerlei Ausschreitungen gab und fast jeder Demonstrant ‚seinen’ Polizisten als Begleitperson erhielt. 3000 Demonstranten mit 2700 Polizisten.

Frau Stenzel macht ihr gewünschtes Demo-Verbot aber wett, indem sie zu fast jeder Demo einer Bürgerinitiative erscheint und das Recht der Bürgerbeteiligung an öffentlichen Prozessen verteidigt.

Hier übrigens ein bisschen Hintergrundinfo über die kapitalistisch-rechtskonservative Schwarz-Front einer Bewegung, welche die Verfassung, Versammlungs- und Bürgerrechte gerne „auf die Donauinsel verbannen“ möchte.

  • ÖVP-Landesparteichef Gernot Blümel tritt schon seit längerem für die Schaffung eigener Demonstrationszonen ein. Solche kann er sich auf der Donauinsel, in der Praterallee oder am Heldenplatz vorstellen. An diesem Plätzen sieht er drei „Grundanliegen“ in Einklang gebracht: freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit, die Interessen der Wirtschaft und schließlich die Gewährleistung der Sicherheit der Bürger. Bisher sind die Hauptstadtschwarzen allerdings mit ihrem Ansinnen bei Rot-Grün abgeblitzt.
  • Die ÖVP unterstützt nun die „Aida“-Petition. (Aida ist eine Konditorkette, die in vielen Bezirken Wiens Filialen hat. Auslöser der Unterschriftenaktion gegen Demos war eine kürzlich abgehaltene Demo, die an der Filiale gegenüber der Staatsoper am Ring vorbeiführte.) Gemeinsam werde man beratschlagen, wie nach dem Ende der Unterschriftenaktion weiter verfahren werde, kündigte Ratzenberger an. Eines sei aber fix: „Eine Demo werden wir nicht machen.“

Sollte dies als Scherz gemeint gewesen sein, ist es bestenfalls lächerlich, nicht aber zum Lachen.

Herr Blüml sollte wissen, dass am Heldenplatz das Containerdorf für die Abgeordneten des Parlaments errichtet wird während des Umbaus des Parlaments, dort also viele Jahre kein Platz für Großdemos mehr sein wird. Anschließend liegt die Bannbeile des Kanzleramtes, wenn Stephansplatz und Geschäftsstraßen, sowie der Ring ebenfalls, wegfallen, bleibt tatsächlich nur die Prater Hauptallee. Sollten sich dort Radler und Jogger beschweren, kann auf die Donau-Insel ausgewichen werden. Falls dort nicht ein erhöhtes Sicherheitsrisiko auszumachen ist.

Unser Sicherheitsminister, ich meine Herr Sobotka, hat vor vier Tagen ja seine Ideen zur Einschränkung des Demonstrationsrechtes den möglichen Demonstranten dargelegt.

Norbert Mayer stellt dazu fest: Im Morgengrauen „Die Presse“ gelesen: „Sobotka will Demos einschränken“. Ja, darf er denn das? Falsche Frage! Einzig richtige Antwort: Für das Demonstrationsrecht sollten Menschen, die in einer Demokratie leben wollen, jederzeit auf die Straße gehen. Davon wird sie ein Innenminister nicht abhalten, der sich beim Vorstoß zu einem novellierten Versammlungsrecht eher an Staaten orientiert, die Defizite an Liberalität aufweisen: Ungarn, Russland, Türkei . . .

Unter anderem sah der Plan des Innenministeriums vor, dass künftig bei jeder Demonstration ein „Versammlungsleiter“ zu benennen ist. Dieser soll zivilrechtlich haftbar gemacht werden können, wenn im Zuge der Demonstration etwa Sachbeschädigungen passieren. Also wenn etwa Schaufenster von Geschäftslokalen eingeschlagen werden. Der Versammlungsleiter könnte dann wiederum beim eigentlichen Täter Regress nehmen.

Während Jurist Bernhard Raschauer die Haftung für normalen Standard von Verwaltungsgesetzen hält, spricht Pichler von einem „unwürdigen, typisch österreichischen Debattenstil über ein ernstes europäisches Thema“, „Eine europaweit in der Luft liegende rechtspolitische Debatte darüber, wie auf das immer öfter gewaltbeladene Eskalieren von Demonstrationen zu reagieren sei, soll in Österreich mit Kahlschlagargumenten offensichtlich abgedreht werden“, so der ehemalige Professor für Europäische Rechtsentwicklungen. Diskussionen über eine Präzisierung der Gestaltungsräume des Demonstrationsrechts müssten möglich sein. Die Versammlungsfreiheit sei in Demokratien ein hohes Gut, sie stehe aber auch in einem Spannungsverhältnis zu anderen Rechtsgütern. „Verändert sich die Demonstrationskultur, so muss sich auch die diesbezügliche Rechtsausstattung ändern“, gibt Pichler zu bedenken.

Nur drei Tage später, also heute, am 6. Februar 2017, legt der Innenminister nach und richtet seinen Begutachtungsentwurf an die SPÖ. Darin wird vorgeschlagen, dass der Innenminister an gewissen Plätzen oder Straßenzügen gesamt 876 Stunden pro Jahr Demos untersagen kann.

Der Versammlungsleiter soll für die Wahrung der Ordnung in der Versammlung sorgen und Gesetzesverstößen sofort entgegenwirken. Er hat die Versammlung aufzulösen, wenn seinen Anordnungen nicht Folge geleistet wird. Ist kein Leiter bei der Demo anwesend, treffen laut Gesetzesentwurf dessen Aufgaben jenen Teilnehmer, der etwa durch Vorangehen und Aufforderungen, ihm zu folgen, die Route der Versammlung bestimmt.

Schon alleine dieser Vorschlag zeigt, dass Demos in Zukunft für den Veranstalter / die Veranstalterin gefährlich werden. Untermauert durch den Zusatz: Kommt es bei einer Versammlung zu mehreren gerichtlich strafbaren Handlungen oder zu einer mit mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe bedrohten strafbaren Handlung, kann der Leiter – oder eben jene Person, die die Route vorgibt – bei schuldhaftem Verhalten mit bis zu 10 000 Euro pönalisiert werden.

Damit erhebt sich für mich die brennende Frage, wieso Schäden am Volksvermögen durch Zocken, Unwissenheit, Freunderlwirtschaft, fragwürdige Grundstücksspekulationen und Grundstücksverkäufe oder  Fehleinschätzungen durch Politiker nicht längst pönalisiert werden.

Dass das Versammlungsrecht überhaupt geändert wird, hängt nach Angaben des Innenministeriums auch mit der stark gestiegenen Zahl an Demonstrationen zusammen. Waren 2011 nur knapp 8300 Demos angezeigt, stieg die Zahl seither deutlich an und erreichte 2015 einen Wert von 16 202. Die Daten für 2016 liegen noch nicht vor.

Fragt sich niemand in dieser Regierung, warum es so viel mehr Demos gibt? Hat keiner den Verdacht, dass die Menschen mit ihrer Regierung unzufrieden sind und deswegen auf die Straße gehen? Herr und Frau Österreicher tendieren ja bekanntlich eher dazu, am Stammtisch zu meckern, ansonsten aber lieber am Sofa fernzusehen. Man unterschreibt zur Not noch eine Petition, mit deren Inhalt man irgendwie sympathisiert, das war’s aber auch schon mit der Teilnahme am politischen Leben. Die Mehrheit ist ja der Ansicht, dass die dort oben eh machen, was sie wollen“ und somit ein Protest nichts bringt. Die kritische Minderheit, die für etwas kämpft, indem sie auf die Straße geht, das sind aber auch Menschen, die mit ihrer Stimme einer Partei einen Vertrauensvorschuss gegeben haben und jetzt erreichen wollen, dass in einen Dialog mit der Bevölkerung getreten wird.

Es ist überfällig, dass die Politiker mit dem Volk auf Augenhöhe und mit gegenseitigem Respekt umgehen – das könnte auch bedeuten, Demos zu verhindern, indem das Amtsgeheimnis aufgegeben wird, Großprojekte transparent offen gelegt werden, ein Dialog mit der Bevölkerung stattfindet und Petitionen abgeschmettert werden, ohne dass die Petitionseinreicher auch nur darüber informiert werden, weswegen ihr Anliegen nicht einmal im Petitionsausschuss behandelt werden. Diese Pseudo-Annäherung durch Scheinangebote, die so leicht durchschaubar ist, fördert das Vertrauen in die Politiker jedenfalls nicht.

Die Einschränkungen beim Demonstrationsrecht gepaart mit der weiter ausgedehnten Überwachung des Volkes lassen aufhorchen und die Geschehnisse vor 80 Jahren ins Gedächtnis rufen. Und die Gewissheit reifen lassen „Bleib wachsam“.

Wir werden uns jedenfalls nicht davon abhalten lassen, eine Demo gegen die Einschränkung des Demonstrationsrechtes ins Auge zu fassen.

Netzfrau Lisa Natterer (Österreich)

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