„Urbanes Afrika“ lautete das Thema einer gigantischen Konferenz zur internationalen Afrikaforschung, ECAS, die gerade in Basel stattfand und vom Netzwerk europäischer Afrika-Institute (AEGIS) ausgerichtet wurde. Ein bedeutender thematischer Fokus – schließlich prägen Verstädterungsprozesse afrikanische Gesellschaften. Migration ist häufig nicht auf Europa, sondern auf urbane Zentren im eigenen Land oder in den Nachbarländern ausgerichtet. Um so wichtiger, dass afrikanische Wissenschaftlerinnen sich darüber mit Kollegen/innen aus verschiedenen Staates des Kontinents austauschen konnten.
Forscherinnen aus Europa und den USA wirkten intensiv an diesem Dialog mit, insbesondere Doktorandinnen stellten ihre Ergebnisse vor. Über 1500 Teilnehmende erläuterten in mehr als 200 Panels ihre empirischen Studien, die von Kapstadt bis Kairo reichten. Stadtforschung in Afrika wird maßgeblich von Wissenschaftlerinnen mitgestaltet, das dokumentierte die Konferenz in Basel eindrucksvoll. Die jungen Forscherinnen waren sowohl in Minenstädten Südafrikas, Sambias und Tansanias unterwegs, aber auch in Touristenorten, Kleinstädten auf dem Land und in Megacities West- und Ostafrikas.
Frauen in Kleinstädten Ostafrikas
So berichtete Marianne Nylandsted Larsen über urbane Siedlungsentwicklung und Infrastruktur am Rande tansanischer Naturparks und Fernverkehrsstraßen. Sie wies auf neue Einkommensmöglichkeiten und Selbstständigkeit für Frauen hin, etwa in der Gastronomie, verschwieg aber nicht Probleme wie Prostitution und HIV/AIDS.
Wie wichtig es ist, Urbanisierung nicht nur als Momentaufnahme zu betrachten, sondern zu historisieren und mit Lebensläufen oder Veränderungen ganzer Gemeinschaften in Beziehung zu setzen, veranschaulichte Chihiro Ito. Sie hat in sambischen Touristenorten und ländlichen Gemeinden geforscht, in die Kleinbäuerinnen beim Bau des Kariba-Stausees in den 1950er Jahren umgesiedelt wurden. Von Anbau und Viehhaltung konnte die Tonga-Bevölkerung auch Jahrzehnte später nicht leben, inzwischen bietet der Ausbau des Tourismus direkte und indirekte neue Einkommensmöglichkeiten – sei es im Hotelgewerbe, im Transport oder in der Eröffnung kleiner Läden. Inwieweit etablierte Aufgabenteilungen, Rollenmuster und Hierarchien zwischen Frauen und Männern dabei fortgesetzt oder geändert werden, können nur Mikrostudien zeigen.
Junge Kosmopolitinnen in Maputo
Neue ökonomische Handlungsspielräume verstärken häufig Geschlechterkonflikte, wenn große Konkurrenz um die begrenzten Optionen herrscht und Konflikte wegen konkurrierender Rollenerwartungen eskalieren. Solchen Spannungen widmete sich Sandra Manuel in der mosambikanischen Hauptstadt Maputo. Sie erklärte keineswegs nur die Gründe für Streit in Partnerschaften, sondern illustrierte auch neue Freiheiten, die sich vor allem junge, gebildete Frauen erarbeiten. Darauf basiert ihr Selbstverständnis und Lebensstil. Das schweißt sie zusammen. Zwar hat keine als Einzelne das Einkommen, um in das ökonomische Raster von Mittelklasse zu passen und kosmopolitische Orientierungen zu realisieren. Aber die jungen Frauen bilden informelle Spargruppen und legen das Geld zusammen, um beispielsweise für ein Wochenende ein Auto zu leihen und damit ihren Kulturinteressen oder Freizeitvergnügungen nachzugehen. Mit ihren Partnern teilen sie zwar Vorstellungen vom urbanen Lebensstil, aber hinsichtlich der Rollenvorstellungen gehen die Erwartungen weit auseinander. Junge gebildete Männer wollen die Wiederherstellung patriarchaler Machtmuster und Selbstbilder, die sie als traditionell verklären. Damit sind die Beziehungsprobleme vorprogrammiert.
Teenager als Forscherinnen
Lebensentwürfe, Selbstbilder und Organisationsformen standen im Mittelpunkt einer aktionsorientierten Forschung, die junge Mädchen in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa mit Gleichaltrigen durchführten. Sie fragten danach, was Empowerment – Selbstermächtigung und Machtgewinn – für Teenager in ärmeren Stadtteilen bedeutete. Dafür wurden einzelne gezielt in Interviewtechniken geschult. Ihre Ergebnisse boten eine wichtige Grundlage für ein größeres Empowerment-Projekt, das auch Rückbezüge zur familiären Situation und dem Lebensumfeld der Mädchen herstellte. Grundsätzlich diskutierte Koordinatorin Lyndsay McLean mit den Teilnehmenden die Frage, inwieweit finanzielle Förderung durch Entwicklungsorganisationen aus Europa zu mehr Geschlechtergerechtigkeit beitragen kann und was Partizipation junger Mädchen bedeutet, die oftmals auch in Frauenprojekten marginialisiert werden. Deutlich wurde, dass Veränderungen auf ganz unterschiedlichen Ebenen notwendig sind. Dazu zählen grundlegende Rechtsreformen und deren Umsetzung im Alltag, denn noch immer schränken diskriminierende Gesetze Frauen und Mädchen in vieler Hinsicht ein. Umfassende Bildungsprogramme und Schutz vor Gewalt sind ebenfalls zu notwendig, um lokal angepasste Empowerment-Ansätze zu realisieren.
Zudem diskutierten die Teilnehmenden die gegenseitige Kontrolle zwischen Mädchen, die gesellschaftliche Normen von vorbildlicher Weiblichkeit verinnerlicht haben und sich gegenseitig daran messen, obwohl sie diesen auf Grund wirtschaftlicher Probleme aber gar nicht entsprechen können.
Umfassende Gender-Konzepte
Städte bieten in vielen afrikanischen Ländern LGBTI-Menschen Nischen und mancherorts auch kulturelle Entfaltungsräume. Auf dem sehr schmalen Grat zwischen Stigmatisierung, Kriminalisierung und innovativen künstlerischen Ausdrucksformen werden Gender-Zuordnungen verhandelt. Einerseits bedeutet das: Festschreibung von Stereotypen auf der Basis exklusiven Neo-Traditionalismus und Nationalismus sowie menschenverachtender homophobe Hetze, die vor allem Pfingstkirchen befeuern, über die Geldgeber aus dem Bible Belt in den USA ihre Füllhörner ausschütten. Andererseits prangern vor allem junge Lesben und andere LGBTI-Menschen diesen religiösen Fundamentalismus und die Geldgier lokaler Kirchengründer an. Ihre Predigten bieten einen Nährboden für Hassgewalt, sodass selbst internationale Auszeichnungen lokalen LGBTI-Initiativen nur bedingt Schutz bieten. Damit wurde das Team des preisgekrönten Dokumentarfilms „Stories of our lives“ konfrontiert, der in Kenia verboten ist. Um so beachtlicher war ihr Mut, im Film dennoch namentlich aufzutauchen, was allerdings bereits Anfeindungen zur Folge hatte. Die Konferenz bot einen guten Rahmen für den Austausch über Fragen zur Verbindung zwischen cineastischer, künstlerischer oder literarischer Artikulation, Menschenrechte, öffentlichen und interessenpolitisch gelenkten Diskursen über Gender-Zuschreibungen, Verortungen und Transformationen. Sie bot oftmals verborgene Detailperspektiven aus verschiedenen Ländern und erkenntnisreiche Vergleichsmöglichkeiten.
Insgesamt verdeutlichten die Konferenzbeiträge, wie Afrikanerinnen unterschiedlichen Alters und Status die vielschichtigen und oftmals gegenläufigen oder gar widersprüchlichen Veränderungsprozesse im Kontext von Urbanisierung mitgestalten; sei es, indem sie diese individuell nutzen oder Tendenzen aktiv gegensteuern, die sie als problematisch einschätzen und ablehnen.
Rita Schäfer
Die Autorin ist freiberufliche Wissenschaftlerin, forscht zu Gender insbesondere im südlichen Afrika und schreibt für Zeitschriften, Blogs und Webseiten.
Weiterführende Informationen:
https://www.liportal.de/suedafrika/gesellschaft/
Webseite der Konferenz, Detailangaben zu den Referentinnen und deren Papern:
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