Leonard Bernstein – 25. August 1918 – 14. Oktober 1990 – eine persönliche Hommage

Leonard Bernstein, einer der größten Dirigenten, Musikpädagogen und Komponisten des 20. Jahrhunderts, Humanist, Ideengeber, Förderer, Wegweiser in vielerlei Hinsicht, wäre am 25. August dieses Jahres 100 Jahre alt geworden.

Meine erste Berührung mit Bernstein hatte ich – als Musiklehrerin an einer allgemeinbildenden Schule – durch das Musical „West Side Story“, das fest im Lehrplan der 9. Klassen verankert war. Bernstein oder, besser gesagt, der Textdichter des Musicals Arthur Laurents hatte die Handlung von Shakespeares „Romeo und Julia“ in die West Side des Stadtteils Manhattan von New York City der 1950er Jahre verlegt. Aus den verfeindeten Familien Montague und Capulet wurden die Banden „Jets“ (die „Einheimischen“) und „Sharks“ (die „zugewanderten“ Puertoricaner). Der Rest der Handlung dürfte bekannt sein, vor allem auch ihr tragisches Ende. Von Anfang an faszinierte mich die Vielzahl der Musikstile, die hier zusammenkommen. Diese Vielfalt lässt sich zum Beispiel erleben an „America“, das mit seiner Polymetrik (= die Gleichzeitigkeit bzw. das Nebeneinander verschiedener Taktarten) eindeutig karibisch inspiriert ist, an „Cool“, dem unverfälschten Vertreter des damals modernen Cool Jazz, an das witzige, slapstickartige „Gee, Officer Krupke“, bei dem Bernstein Anleihen bei alten Vaudeville-Songs machte, um nur einige zu nennen.

Obwohl ich das Stück immer mal wieder durchnehmen musste, wurde ich niemals müde, die Musik zu hören, geschweige denn, den Film zu sehen, der 1961 in die Kinos gekommen war.

Was aber hat mich noch an Bernstein begeistert?

ER war der Erfinder des Gesprächskonzerts, einer Konzertform, in der er – meist einem jungen Publikum – die verschiedenen Aspekte der Musik erklärte. Es handelt sich um die legendären „Young People’s Concerts“, von denen er zwischen 1958 und 1972 insgesamt 53 in New York zusammen mit dem New York Philharmonic Orchestra gab. Mit interessanten Geschichten, Musikbeispielen und Humor verstand er stets sein Publikum zu fesseln und ihm „so nebenbei“ Begriffe wie „Melodie“, „Tonart“ oder „Impressionismus“ (den Musikstil der Jahrhundertwende um 1900) beizubringen. Sogar Kirchentonarten konnte er anhand von Beispielen der Popmusik vermitteln, die er selbst vorsang und sich dabei am Klavier begleitete. Dabei ist es ein Genuss, ihm auch beim Sprechen zuzuhören. Er spricht schön langsam, sehr gut verständlich und fast ganz ohne amerikanischen Akzent, beinahe britisch. – Viele andere Dirigenten, darunter auch Gerd Albrecht, Helmut Rilling, Hans Zender u. a. führten und führen – sicherlich inspiriert durch ihn – ebenfalls Gesprächskonzerte durch.

Nicht nur Kindern versuchte Bernstein etwas zu vermitteln. An der Harvard University hielt er zahlreiche Vorlesungen.

Immer wieder trat er bei den Wiener Philharmonikern als Gastdirigent auf, um mit ihnen Werke des mit ihm seelenverwandten Gustav Mahler (1860 – 1911) aufzuführen. Er spürte von Anfang an, dass die Wiener Philharmoniker Mahler nicht mochten, obwohl dieser gerade auch als Dirigent desselben Orchesters das musikalische Leben der Stadt Wien entscheidend geprägt hatte. War es latenter Antisemitismus? Denn Mahler war jüdischer Herkunft gewesen, aber Bernstein war es ja auch, und ihn mochte das Orchester. Bernstein ruhte nicht eher, bis er seine persönliche Mission erreicht hatte, nämlich die vollständige Akzeptanz von Mahlers Werken durch das österreichische Orchester, das Weltrang hat, und die Aufnahme seiner Werke ins Repertoire.

Leider war es mir nicht vergönnt, Bernstein selbst in Natura als Dirigenten zu erleben. In den 1980er und 1990er Jahren war er jedoch im deutschen Fernsehen relativ präsent, und so kam ich in den besonderen Genuss mehrerer aufgezeichneter Konzerte, in denen er unter Anderem Beethovens 7. Sinfonie A-Dur aufführte. Unvergessen für mich ist sein wahrscheinlich letztes Konzert in Deutschland wenige Wochen vor seinem Tod, das er durch einige deutsche (!) Worte einleitete über die zweite Sinfonie des US-amerikanischen Komponisten Charles Ives, die er mit dem Sinfonieorchester des Bayrischen Rundfunks zu Gehör brachte.

Soweit mein persönlicher Bezug zu Leonard Bernstein. Alles Weitere kann man im Internet nachlesen. Daher nur einige wichtige Details aus seinem übervollen Leben:

1918 wurde er als Louis Bernstein und Sohn einer jüdischen Einwandererfamilie, die aus Riwne/Ukraine stammte, in Lawrence, Massachusetts geboren. Da er ohnehin immer „Leonard“ gerufen wurde, änderte er mit 16 Jahren seinen Vornamen um.

In Harvard studierte er Klavier und Komposition.

Nach seinem Examen wurde er 1940 durch das Sommerinstitut des Boston Symphony Orchestra, Tanglewood, Assistent dessen Dirigenten Serge Koussewitzky.

1943 wurde er zweiter Dirigent des New York Philharmonic Orchestra. Im selben Jahr sprang er mit nur wenigen Stunden Vorbereitungszeit für den erkrankten Bruno Walter bei einem Konzert des New York Philharmonic Orchestra ein, das im Radio übertragen wurde – mit einem solch durchschlagenden Erfolg, dass er von da an weltweit als Dirigent gefragt war.

1958 wurde er erster Dirigent der New Yorker Philharmoniker.

Bernstein dirigierte ab dem Ende des Zweiten Weltkriegs Orchester in aller Welt: 1946 in London und Prag, 1947 in Tel Aviv, 1953 in Mailand (Scala, mit Maria Callas) usw.

Mit dem amerikanischen Komponisten Aaron Copland verband ihn eine lebenslange Freundschaft. Überhaupt förderte er zeitgenössische amerikanische Komponisten, wo es ihm nur möglich war.

Auch er selbst legte Wert darauf, als Komponist anerkannt zu werden. 1943 komponierte er, inspiriert durch sein jüdisches Erbe, seine erste Sinfonie „Jeremiah“. Seine dritte Sinfonie „Kaddish“, die er 1963 vollendete, trägt die Widmung „To the beloved memory of John F Kennedy“.

1988 verlieh ihm das Israel Philharmonic Orchestra den Titel des Ehrendirigenten.

Auch mit dem deutschen Dirigenten und Pianisten Justus Frantz verband ihn eine lebenslange Freundschaft, der sicher auch seine Beteiligung an der Gründung des Schleswig-Holstein-Festival-Orchesters zu verdanken ist, ebenso mit Helmut und Loki Schmidt.

Im Dezember 1989 dirigierte er die legendären Berliner Konzerte zu beiden Seiten der gerade gefallenen Mauer. Das Orchester setzte sich aus Musikern der DDR, der Bundesrepublik und den ehemaligen vier Besatzungsmächten (Großbritannien, USA, Frankreich und UdSSR) zusammen – eine Kombination, die es zuvor und auch danach nicht wieder gegeben hat.

Bernstein war verheiratet, hatte drei Kinder und war ein liebevoller Vater. Aus seiner Promiskuität und seiner Neigung zu Männern machte er keinen Hehl, weshalb er und seine Frau sich trennten. Als diese an Krebs erkrankte, kehrte er zurück und blieb bis zu ihrem Tod bei ihr.

Dass Bernstein ein übermäßig starker Raucher war, ist auf vielen seiner Videos zu erkennen. Sicherlich führte dies zu seinem zu frühen Tod am 14. Oktober 1990.

Schade, Lenny Bernstein, dass du so früh gehen musstest. Du warst wie eine Kerze, die zugleich an beiden Enden brannte. Danke dafür, dass wir so viel von dir lernen konnten und immer noch können. Danke für deine Menschlichkeit, deine Zugewandtheit, deine Inspiration, dein Feuer, deinen Humor.

Thank you for everything and, above all, thank you for the MUSIC.

Offizielle Seite über Leonard Bernstein:  https://leonardbernstein.com

Netzfrau Ulla Rissmann-Telle

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