Hilferuf aus Chile – Mysteriöse Giftwolke „Alles ist hier gestorben“

Die Bewohner von Quintero, Chile, wo auch eine Reihe von Bergbau-, Öl-, Zement-, Gas- und Chemieindustrien betrieben werden, leiden unter einem schrecklichen Umweltskandal. Riesige rote Wunden, Blasen und andere Wunden traten plötzlich auf dem kleinen Körper auf. „Alles juckt und ich kann nicht schlafen, es tut so weh,“ weint Catalina. Sie ist gerade mal 10 Jahre alt und eines der vielen Kinder, mit ebenfalls Blasen und Wunden am ganzen Körper, nach der mysteriösen Giftwolke in der chilenischen Küstenstadt Quintero. In nur kurzer Zeit kam es hier zu drei Zwischenfällen: 1.000 Menschen, darunter viele Kinder müssen auf Grund von Kontamination aus Gewerbe- und Industriebetrieben in den Küstengebieten von Quintero und Puchuncaví behandelt werden. Etwa 30.000 Menschen leben in Quintero, etwa 30 Kilometer von dem Industriegebiet Valparaíso entfernt. Diese Region ist gezeichnet von Umweltverschmutzung und hat die höchste Krebsrate des Landes. Tausende tote Sardinen am Strand in der chilenischen Hafenstadt Valparaíso sorgten schon einmal für Panik bei der Bevölkerung, doch nichts geschah. Auf Hilfe seitens der Regierung warten die Menschen vergebens. Nachdem bereits Wochen vergangen waren, beschlossen die betroffenen Menschen in Quintero und Puchuncaví zu protestieren, um so auf ihre schreckliche Situation aufmerksam zu machen. Doch anstatt Hilfe wurde von der Polizei Wasserwerfer und Tränengas gegen die friedlichen Demonstranten eingesetzt. Sogar Spezialkräfte der Polizei wurden dort von der Regierung stationiert. Jetzt wurde der Anführer der Demonstrationen tot aufgefunden. Alejandro „El Mecha“ Castro wurde nur 27 Jahre alt. Hier der Hilferuf aus Chile.Es ist wichtig, dass es verbreitet wird: 

Ineffizienz seitens der Regierung Chiles hat bisher zu mehr als 1.000 Vergiftungsfällen auf Grund von Kontamination aus Gewerbe- und Industriebetrieben in den Küstengebieten von Quintero und Puchuncaví geführt

Rund 70 Menschen sind am 21. August in die Notaufnahme von Quintero mit Vergiftungserscheinungen gekommen. Bislang ist die Anzahl an Vergiftungsfällen auf 1.045 gestiegen, welche den toxischen Gasen aus 8 Betrieben des Industriegebietes von Puchuncavi zugeschrieben werden. Trotz der Evidenz in den Berichten der staatlichen Gesundheitsbehörden Chiles, Seremi de Salud und Superintendencia del Medio Ambiente (SMA), hat sich der Mangel an politischem Willen und das ineffiziente Handeln der chilenischen Autoritäten in einer langsamen Reaktionszeit widergespiegelt, die länger als einen Monat in Anspruch genommen hat, wobei letztendlich die einzige ergriffene Maßnahme war, den Schulunterricht  einzustellen, während die industriellen Aktivitäten ohnehin weitergeführt werden durften. All das hat zu friedlichen Demonstrationen der Bevölkerung geführt, welche aber mit polizeilicher Gewalt unterdrückt werden.

 

Demonstrationen der Bevölkerung in den Küstengebieten von Quintero und Puchuncaví. Quelle: Mujeres en Zona de Sacrificio Puchuncaví-Quintero.

Innerhalb von nur einem Monat haben mehr als 1.000 Menschen Vergiftungserscheinungen wie Schwindel, Erbrechen, Kopfschmerzen, Lähmungserscheinungen und Hautallergie gezeigt, was die Krankenhäuser überfordert und die Aufmerksamkeit der Autoritäten auf sich gezogen hat. Die Luft-, Boden-, Grundwasser- und Meereskontamination wird 8 Betrieben des Industriegebietes zugeschrieben: dem Kohlekraftwerk AES Gener, dem Ferngasunternehmen Gasmar, der Kupferhütte Codelco Ventanas, der staatlichen Raffinerie ENAP, dem Chemieunternehmen Oxiquim, dem Gasversorgungsunternehmen GNL Quintero, den Erdölunternehmen Copec und Enex, letzterer Vertriebspartner für Shell in Chile.

Siehe auch: Chile – Verteidigung des Wassers und des Lebens

Emmissionen des Industriegebiets in der Opferzone Quintero – Puchuncaví. Quelle: Mujeres en Zona de Sacrificio Puchuncaví-Quintero.

Dennoch sind dies nicht die ersten Vergiftungsfälle in der Geschichte dieses Ortes. Es sind insgesamt 5 ‚Zonas de Sacrificio‘ (Opferzonen), die im Lande existieren. In solchen Opferzonen werden die gesetzlich vorgesehenen Kontaminationslevel auf Grund der exzessiv hohen Dichte industrieller Aktivitäten bei weitem übertroffen mit langfristig schädlichen Auswirkungen auf die natürlichen Ressourcen und die Gesundheit der Bevölkerung von solchen Gegenden. Laut den Aussagen der Anwohner existiert diese Kontamination seit etwa 1968, als die Industrieanlage in der Nähe der Siedlungen und am öffentlichen Strand gebaut wurde. Seitdem soll eine andauernde Kontamination mit wiederkehrenden Vorfällen durch Auslaufen von Kohlen und Erdöl in dem Gebiet existieren, welche mit kritisch erhöhten Level toxischer Gase begleitet werden, so wie der aktuelle.

Nach Angaben des Vertreters des Gesundheitsministeriums in Valparaiso, Seremi Francisco Álvarez, sollen die identifizierten Gase von Kohlenwasserstoffen wie dem Isobutan, dem Nitrobenzol und dem Methychloroform stammen. Letzteres ist laut dem Toxikologen Andrei Tchernitchin in Chile seit 2015 nach der Ratifizierung des ‚Übereinkommens von Montreal’ zum Schutz der Ozonschicht verboten. „Dies zeigt, dass es keine Kontrolle der Stoffe gibt, die der Bevölkerung schaden, was zu unheilbaren Krankheiten führt“, erklärte er in der Zeitung Resumen. Dazu hat Seremi de Salud von Valparaíso hohe Konzentrationen von Arsen in Proben von Brunnenwasser gefunden, dessen jährliche Konzentrationslevel schon zwischen 2010-2015 bis zu 23 mal höher waren, als die internationalen Normen der WHO vorschreiben. Diese Gase und chemischen Verbindungen sind schon jahrelang für die Vergiftungserscheinungen und chronischen Krankheiten in der heimischen Bevölkerung verantwortlich gewesen, wo die Prävalenz von Krebserkrankungen zu den höchsten des Landes zählt.

Kohle-Vorfälle an der Küste, im Hintergrund das Industriegebiet. Quelle: Mujeres en Zona de Sacrificio Puchuncaví-Quintero.

Widersprüchliche Handlung seitens der Regierung Chiles

Trotz des Besuchs des chilenischen Präsidenten Sebastián Piñera, der WHO und des Umweltministeriums in dem Gebiet ist das darauf folgende Handeln der Autoritäten langsam, ineffizient und wenig transparent gewesen. In einem niemals endenden Zyklus von Widersprüchen hat das Notfall-Komitee der Region Valparaíso die Warnstufe Gelb erklärt mit einer Abwechslung in der Einstellung und Wiederaufnahme des Schulunterrichts trotz kontinuierlicher Vergiftungen und einer fortdauernden Giftwolke. Anfänglich hat die Umweltministerin, Carolina Schmidt, ein einziges Unternehmen für die Kontamination in dem Gebiet für verantwortlich erklärt, die staatliche ENAP, und hat dabei den Beweis von den anderen in dem Gebiet vorhandenen Unternehmen außer Acht gelassen. Später kamen Beweise ans Licht, die die Regierung mit Fernando Barrios, dem Geschäftsführer von Oxiquim – wie bereits zuvor erwähnt – in Verbindung bringen. In der Vergangenheit hatte Barrios als Verteidigungsanwalt des Präsidenten Sebastián Piñera in einem umstrittenen Fall von Steuerhinterziehung agiert, was Misstrauen in das Handeln der Regierung ausgelöst hat. Danach hat Seremi de Salud von Valparaíso über die Überprüfung von 6 Unternehmen in einem Bericht erklärt, dass 5 dieser Unternehmen Umwelt- und Gesundheitsverstöße auf Grund von falscher Lagerung von toxischen Abfällen und Verstöße des Gesetzes über Arbeitssicherheit aufweisen.

Laut Resumen sind die andauernde Unterbrechung und Wiederaufnahme des Schulunterrichts, die polizeiliche Unterdrückung von friedlichen Demonstrationen und die widersprüchlichen Erklärungen von Autoritäten Hinweise dafür, dass die Regierung näher bei den Schuldigen als bei der Bevölkerung ist, was die starke Bindung von Politikern und Unternehmern bestätigt. Dies hat sich erst vor kurzem gezeigt, als die chilenische Regierung sich weigerte, das lateinamerikanisch-karibische Escazú-Abkommen zu ratifizieren, welches sie zuerst unterstützte und welches zum Ziel hat, Umweltgerechtigkeit mittels höherer Transparenz, mehr Teilhabe der Bevölkerung und des Schutzes von Umweltaktivisten zu stärken und zu sichern.

Friedliche Demonstranten werden mit polizeilicher Gewalt unterdrückt. Quelle: Rival im Zeitung Resumen.

Die Gemeindeversammlung in Zusammenarbeit mit der Ärztekammer sind sich darin einig, dass die einzige mögliche Lösung der Stopp der Aktivitäten der Betriebe des Industriegebiets ist, bis neue regulierende Normen, die die Kontaminationslevel beschränken, festgelegt werden. Zurzeit müssen sich die Anwohner mit dem am 26. September ausgerufenen Gesundheitsnotstand zufrieden stellen, welcher Mechanismen zur Vorsorge- und Emissionskontrolle aktiviert, begleitet von einer vorübergehenden 48-Stunden-Unterbrechung von industriellen Aktivitäten, die als kontaminierend erklärt wurden.

Bislang weiten sich die Demonstrationen in der Gegend, aber auch unter den Chilenen weltweit aus, welche die sozialen Forderungen der Anwohner von Quinteros und Puchuncaví unterstützen. Diese fordern den Stopp der Aktivitäten der Betriebe in dem Industriegebiet und eine unabhängige Überprüfung, das Festlegen von Normen im Einklang mit den von der WHO vorgeschriebenen Regulierungen, das Stoppen der Erweiterung des Industriegebietes und die Einführung eines Programms zur Boden-, Wasser-, Meeres- und Luftgenesung, das auch das Aufforsten mit heimischen Baumarten fördert, um die Feuchtgebiete des Gebietes miteinander zu verbinden. Sie fordern auch die Implementierung des Gesetzes ‚Ley Especial Puchuncaví-Quintero’ und dass alle Unternehmen sich der Behörde zur Umweltverträglichkeitsprüfung unterordnen und sich alle im Besitz einer Gesundheitsgenehmigung befinden, erklärten Mujeres de Zona de Sacrificio, Puchuncaví-Quintero.

All das macht ein Doppelgesicht Chiles offensichtlich, ein Gesicht, das die ‚nachhaltige’ Entwicklung fördert und ein anderes, das soziale und Umweltaspekte kaum berücksichtigt, was in Widerspruch mit seiner Verpflichtung steht, die UN-Nachhaltigkeitsziele bis 2030 zu erreichen. Es ist eine Ironie, dass ein Land mit einem weltweit guten Ruf als eines der entwickeltsten Länder Lateinamerikas, die Ressourcen des Landes dazu nutzt, um die Konten ausländischer Konzernen zu bereichern und dabei soziale und Umweltaspekte in seiner Wirtschaftspolitik ignoriert. Dies ist ein Problem, das eine Umstrukturierung des wirtschaftlichen und politischen Systems, aber auch der Exekutive Chiles benötigt, in der die Teilhabe der Bevölkerung und Umweltnormen Priorität bekommen.

Dieser Bericht wurde mit Quellenangaben der chilenischen Medien, Resumen, El Mostrador, Cooperativa, El Desconcierto, Bio Bio Chile, El Dínamo, Ahora Noticias, El Ciudadano, Terram, Teletrece und La Tercera verfasst.

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