Whistleblower decken Missstände auf, die sonst nicht ans Tageslicht kämen. Doch sind sie ausreichend geschützt? Genau vor 20 Jahren warnte die Tierärztin Margrit Herbst vor BSE, auch bekannt als Rinderwahnsinn. Sie wurde entlassen. Oder im Fall „Luxleaks“: Während nicht ein einziger Politiker, Finanzbeamter oder führender Manager der beteiligten Firmen und Unternehmensberater zurückgetreten, geschweige denn juristisch belangt worden ist, wurde der LuxLeaks-Whistleblower Antoine Deltour, bestraft. Nachdem der Wissenschaftler Jonathan Lundgren in einer Forschung herausgefunden hatte, dass Bienen und Monarchfalter durch eine weit verbreitete Gruppe von Insektiziden geschädigt werden, verlor auch er seinen Job. Der Fall von Jonathan Lundgren zeigt, wie kompliziert die Zusammenarbeit von Regierung, Wissenschaft und Industrie werden kann, wenn Milliarden von Dollar auf dem Spiel stehen. Die betroffenen Konzerne wie Bayer, der mittlerweile Monsanto übernommen hat, BASF und Syngenta, würden auf Grund dieses Ergebnisses viel Geld verlieren. Mittlerweile ist bekannt, dass Monsanto sogar „geheime Listen“ von Kritikern geführt hat. Ein Mann oder eine Frau gegen Milliarden–Konzerne? Wer gewinnt? Genau das zeigt auch der Fall von Yasmine Motarjemi. Sie war Expertin für Nahrungsmittelsicherheit bei Nestlé, eine ranghohe Managerin. Zehn Jahre lang verbrachte sie ihr Berufsleben im Innersten des mächtigen Multis am Genfersee. 2010 wird sie fristlos entlassen. Gebrochen, gedemütigt, entmutigt, und sie fand nie wieder einen Job. Yasmine Motarjemi klagte gegen den Nahrungsmittelkonzern Nestlé wegen Mobbing. Nachdem das Bezirkgericht in Lausanne 2018 ihre Klage abgewiesen hatte, gab ihr das Berufungsgericht im Januar 2020 nun Recht. Doch damit ist der Albtraum noch nicht beendet, denn Nestlé bringt diesen Fall vor das Bundesgericht. Eine Frau gegen einen Milliarden–Konzern? Wer gewinnt?
Whistleblower: Ex-Managerin gewinnt Mobbing-Klage gegen Nestlé – doch der Albtraum geht in die nächste Runde
Warum ist Nestlé eines der am meisten gehassten Unternehmen der Welt? Die Vorwürfe reichen bis dato von der Verunreinigung von Babynahrung über die Genmanipulation von Inhaltsstoffen bis hin zu Tierversuchen und zur Ausbeutung von Kindern. Unethische Werbung, Manipulation von ungebildeten Müttern, Umweltverschmutzung und vieles mehr. Hinzu kommt, dass der Konzern dort Wasser abgräbt, wo keines mehr ist. Nestle ist das weltweit größte Lebensmittelunternehmen und der Konzern hat eine Geschichte, die selbst Hardcore-Industrielle zum Schaudern bringt.
Der Nahrungsmittelgigant Nestlé warb Yasmine Motarjemi im Jahr 2000 von der Weltgesundheitsorganisation WHO ab. Ihre Position als leitende Wissenschafterin machte sie für Nestlé zu einem perfekten Aushängeschild. Sie war bei der WHO maßgeblich an der Entwicklung des Präventionssystems für die Nahrungsmittelindustrie beteiligt – sogenannte «Gefahrenanalyse und kritische Kontrollpunkte», kurz HACCP.
Kaum hatte Yasmine bei Nestlé angeheuert, landete auch schon der erste heikle Fall auf ihrem Schreibtisch. Es ging um Babynahrungsprodukte. «Die Niveaus von Vitamin A und D sind hoch genug, um ernsthafte Bedenken bezüglich der Lebensmittelsicherheit zu haben», warnte sie in einem internen Brief aus dem Jahr 2001, «wenn wir so weitermachen wie bisher, werden wir dafür belangt.». Sie stellt schnell viele Fehler bei der Lebensmittelherstellung fest. Mangelnde Hygiene in den Fabriken, falsche Dosierung bei Babypulver, verseuchte Rohstoffe, ungenügende Etikettierung der Produkte usw. Sie erzählt, dass es viele Missstände gab. Sie war besorgt, meldete die Probleme jedes Mal, aber das Unternehmen reagierte in vielen Fällen nur langsam, nach mehreren Monaten.
2010 wurde Yasmine fristlos entlassen. Der Konzern bot ihr eine Entschädigung an, doch diese lehnte sie ab und klagte gegen Nestlé. Der Prozess ging am 15. Juni 2014 mit der Anhörung der Klägerin in seine erste Phase. Dabei ging es darum, das Vorgehen und die Liste der Zeug/innen festzulegen, die im Verfahren befragt werden. Im Dezember 2014 entschied der Richter über das Vorgehen. Nestlé reichte wie bereits beim Eintretensentscheid umgehend Rekurs ein. Bis zum Urteil der Beschwerdeinstanz war der Fall auf Eis gelegt. Die Verzögerungstaktik ist ein Vorgehen, das Nestlé bereits früher – beispielsweise im Fall „Luciano Romero“ – erfolgreich angewendet hat.
Am 1. Dezember 2015 war eine zweite Phase des Prozesses. An diesem Tag wurde Yasmine Motarjemi vom Richter einen ganzen Tag lang angehört. Am 16. Dezember 2015 mussten vier der obersten CEOs antreten, nämlich:
- Paul Bulcke, CEO, Nestlé
- Jean- Marc Duvoisin, CEO, Nespresso
- Francisco Castañer, ex-Generadirektor mit Verantwortung für Personal und Administration, Nestlé
- José Lopez, Generaldirektor für Konzernoperationen, Nestlé
Die Anhörungen fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Zugang hatten nur akkreditierte Journalisten. Das Verfahren wird wohl noch dauern, hieß es damals, recht hatten sie.
Auch 2018 wies das Bezirksgericht in Lausanne ihre Klage ab. Siehe auch: Whistleblower: Ex-Managerin von Nestlé wirft dem Konzern Mobbing vor
Erst im Januar 2020 hieß es, dass sie die Mobbing-Klage gegen Nestlé gewann, mittlerweile ist sie Rentnerin, bekam aber nie wieder einen Job.
Ex-Mitarbeiterin gewinnt Mobbing-Klage gegen Nestlé
Ex-Mitarbeiterin gewinnt Mobbing-Klage gegen Nestlé, so die Medien, wie SRF am 21. Januar 2020.“ Nestlé habe das Arbeitsrecht verletzt, weil das Unternehmen keine adäquaten Maßnahmen ergriff, um Motarjemi zu schützen oder das Mobbing zu unterbinden, heißt es in der Erklärung ihres Anwalts.
In ihrer Analyse unterstrichen die Waadtländer Richter erneut die „hinterhältige Natur der Belästigung“ angesichts der Folgen für den Gesundheitszustand der ehemaligen Mitarbeiterin, die inzwischen das Rentenalter erreicht hat.
Endlich dachte man, Yasmine hat es geschafft. Nach zehn Jahren harten Kampfes, nachdem sie 2010 fristlos entlassen wurde, doch der Albtraum geht weiter.
Nestlé bringt Belästigungsfall vor Bundesgericht
Nur einen Monat, nachdem das Berufungsgericht Yasmine Recht gab, meldete sich der Konzern Nestlé. Wie Le Temps am 20. Februar berichtet, haben jetzt die die Richter von Mon-Repos das letzte Wort im Fall zwischen Nestlé und seiner ehemaligen Managerin Yasmine Motarjemi. Das multinationale Unternehmen beschloss, gegen das Urteil, das Anfang Januar vom Zivilberufungsgericht des Waadtländer Kantons gefällt worden war, Berufung einzulegen, das zugunsten der ehemaligen Leiterin für Lebensmittelsicherheit der Veveysan-Gruppe entschied, so die Nachricht.
Nestlé zieht Mobbingfall ans Bundesgericht weiter – anerkennt jedoch die «moralische Belästigung»
„Nun ist klar: Im arbeitsrechtlichen Streit zwischen Nestlé und der ehemaligen Kaderangestellten Yasmine Motarjemi ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Der Nahrungsmittelkonzern ficht das Urteil des Waadtländer Kantonsgerichts an, wie ein Sprecher auf Anfrage bekannt gibt. Damit kommt der Fall vors Bundesgericht, “ so die NZZ am Donnerstag, dem 20.Februar 2020.
Die Nestlé-Medienstelle schreibt, dass sich die bisherige Position des Unternehmens «im guten Treu und Glauben» auf die Untersuchung eines externen Dienstleisters, der auf die Beratung und Prüfung von Personalangelegenheiten spezialisiert ist, gestützt habe. Dieser habe in dieser Sache keine moralische Belästigung festgestellt. Doch weil sowohl die erste als auch die zweite Gerichtsinstanz eine «moralische Belästigung» von Yasmine Motarjemi festgestellt hat, «verzichten wir in diesem Punkt auf eine Anfechtung», heißt es. Mit anderen Worten: Nestlé anerkennt, dass Motarjemi Opfer von internem Mobbing geworden ist, so die NZZ.
In anderen Punkten widerspricht der Nahrungsmittelkonzern jedoch den Schlussfolgerungen des Berufungsgerichts. So sei man der festen Überzeugung, dass das Unternehmen «angemessene Schritte unternahm», nachdem es auf die Situation aufmerksam gemacht worden war. Auch hätten das Angebot einer Versetzung wie auch die externe Untersuchung keine Belästigungen dargestellt. Schließlich sei die externe Ermittlungsfirma unparteiisch gewesen. «Aus diesen Gründen haben wir gegen die jüngste Entscheidung Beschwerde eingereicht», fasst ein Sprecher zusammen.
„Alles geht den Bach runter: Die Karriere, die Gesundheit, das Geld und die Familie. Warum muss man so sehr leiden und warum wird man so ausgegrenzt, nur weil man die Wahrheit gesagt hat?“
Das sind die Worte von Yasmine Motarjemi über ihren Leidensweg. Sie war Expertin für Nahrungsmittelsicherheit bei Nestlé, eine ranghohe Managerin. Zehn Jahre lang verbrachte sie ihr Berufsleben im Innersten des mächtigen Multis am Genfersee. 2010 wird sie fristlos entlassen. Gebrochen, gedemütigt, entmutigt, sie fand nie wieder einen neuen Job.
Genau so erging es auch Syed Amir Raza Hussain, einem ehemaligen Pharmaverkäufer aus Pakistan. In diesem Video aus 2015 können Sie beide Whistleblower, Syed Amir Raza Hussain und Yasmine Motarjemi, die Nestlé entlarvten, kennenlernen.
Der Whistleblower Syed Amir Raza Hussain, der Nestlè entlarvte
Syed Amir Raza Hussain schloss sich am 3. Dezember 1994 der pakistanischen Operation von Nestlé an. Nach einem zwei Tage dauernden Test wurde Hussain aus einem Pool von 50 Kandidaten ausgewählt und als medizinischer Delegierter ernannt. Im April 1997 trat er zurück. Für einen Mann in seiner Position war es eine merkwürdige Entscheidung, eine Karriere mit hohem Potenzial bei einem multinationalen Unternehmen zu beenden. In seinem Bericht aus dem Jahr 1999 mit dem Titel „Milking Profits“: Wie Nestlé den Absatz vor Säuglingsgesundheit stellt, erläuterte er seine Gründe.
Während eines regelmäßigen Besuchs bei einem Arzt in Sialkot sah Hussain einen Säugling mit chronischem Durchfall und akuter Dehydratation, der in das Krankenhaus gebracht wurde. Obwohl der Arzt versuchte, dass Baby zu retten, starb es.
Aus medizinischen Berichten ging hervor, dass das Kind vier Monate alt war und nur einen Monat lang Muttermilch erhalten hatte. Dies stand im Gegensatz zu den sechs Monaten des ausschließlichen Stillens und bis zu zwei (oder mehr) Jahren fortgesetzten Stillens in Verbindung mit altersgerechten Lebensmitteln bis zum Alter von zwei Jahren (oder mehr), wie von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vorgeschrieben. Stattdessen wurde der Säugling auf Anweisung eines anderen Arztes mit Babynahrung behandelt. Der Mutter wurde gesagt, die „Milch auf Rezept“ würde dem Kind helfen, an Gewicht zu gewinnen und gesünder zu werden; Es litt 60 Tage lang an Durchfallerkrankungen, bevor es schließlich starb.
„Bei meinen nächsten Besuchen erklärte der Kinderarzt mir, wie die Ernährung von Tausenden von Kindern in Pakistan beeinflusst wurde“, sagte Syed Amir Raza Hussain.
Ein Kind sterben zu sehen, weil er ein Produkt gefördert hatte, bewog Hussain dazu, etwas zu unternehmen. Er versuchte, den globalen Giganten zu zwingen, seine Praktiken zu ändern, nicht ohne Folgen für ihn und seine Familie. Er kämpfte 17 Jahre lang gegen Nestlé.
Er flog nach Europa und veröffentlichte einen fulminanten Bericht über das, was er als Nestlé-Mitarbeiter getan hatte. Sein Bericht, genannt Milking Profits, beinhaltete Bankbelege, die schriftliche Genehmigung von Geschenken für Ärzte von seinem Vorgesetzten und Firmeneinladungen, um Gäste auf medizinischen Konferenzen zu sponsern. Zu dieser Zeit entließ Nestlés Sprecher Hussain als Lügner und Erpresser. Hussain sagte, es gebe ein Band, das seine Aussagen beweise. Doch der Konzern Nestlé schaffte es, seine Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen.
Doch statt dass sein Bericht Milking Profits eine Empörung auslöste, nur Schweigen. Inzwischen musste sich seine Familie in Pakistan wegen Drohungen, die sie erhielt. verstecken. Hussain war nach Kanada gekommen, um seinen Bericht dort zu veröffentlichen, und er beantragte Asyl, was 2001 abgelehnt wurde. Während er die Entscheidung anfocht, starben sowohl seine Mutter als auch sein Vater in Pakistan.
„Ich dachte, ich wäre der dümmste Mensch auf der Welt. Ich war sieben Jahre von meiner Familie weg und meine Kinder waren sehr klein, als ich sie verließ. Ich fühle immer noch diese siebenjährige Lücke zwischen mir und ihnen “, sagte Hussain im Oktober 2014 bei den Filmfestspielen in Toronto, da war er 45 Jahre alt.
Der „Tiger“, der Nestlés „Formula“-Skandal in Pakistan aufdeckte
Hussain erhielt mehrere Anfragen von Filmemachern, um seine Geschichte zu erzählen, aber laut einem Bericht wurden sie am Ende von Nestlé dazu bewegt, seine Geschichte nicht zu veröffentlichen.
Der Fall von Hussain wurde verfilmt und am 8. September 2014 bei TIFF uraufgeführt und auf Filmfestivals in Berlin und New York gezeigt. Nachdem die Streaming-Plattform Zee5 die Rechte an „Tigers“ erhielt, wurde die indo-französische Produktion 2018 auch in Indien gezeigt. Allein der Trailer von „Tiger“ wurde bereits etwa 18.Millionen mal angeschaut. Siehe auch: Der Whistleblower der Nestlè entlarvte – Movie about the Nestlé Baby Food Scandal
21 Jahre waren vergangen, als in Pakistan bewiesen werden konnte, wie Nestlé gegen den Kodex der WHO verstoßen hatte. Es war in den 90ern, und dies ist eine traurige Geschichte über Armut, Stillen und Gier. In weniger wirtschaftlich entwickelten Ländern (LEDCs) hat Nestle insbesondere die Armen angesprochen. Ihre Säuglingsnahrung sollte fast so gut wie Muttermilch sein, was aus mehreren Gründen höchst unethisch ist.
Politik-, Finanz- und Gesundsheitsskandale kommen oft durch Whistleblower ans Licht. Manche von ihnen sind bekannt, andere nicht. Aber sie alle zahlen einen hohen Preis.
Wir wünschen Yasmine weiterhin viel Kraft.
Netzfrau Doro Schreier
Der Whistleblower der Nestlè entlarvte – Movie about the Nestlé Baby Food Scandal
Whistleblower: Ex-Managerin von Nestlé wirft dem Konzern Mobbing vor
Jetzt wird es ernst! Aktivisten graben Nestlé das „Wasser“ ab – Babymilch von Nestlé im Visier
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